Montag, 19. Juli 2010

Von Krisen, Helden und Zuschauern - the Lone Ranger´s Last Ride

Wie immer begibt sich der einsame Reiter auf einen Ausritt. Wie immer trifft er auf ein Hindernis. Diesmal ist es ein Stacheldrahtzaun. Der Reiter und sein indianischer Freund Tonto machen sich Sorgen, denn dieser Zaun steht in der Nähe des „Wild Horse Valley“, des letzten Refugiums für Wildpferde in diesem Teil des Westens. Ein Cowboy, erschreckt von der Maske des Rangers, greift sie an, doch mit einem wohlgezielten Schuss wird er entwaffnet. Während des folgenden Gesprächs berichtet ihnen der Mann, dass Milo Bruno, dem das ganze Land gehört, den Zaun ziehen ließ, um die Wildpferde einzufangen und so noch reicher zu werden. Und wer sonst sollte in diesem Augenblick wohl erscheinen als Bruno selbst, ein Mann, der nicht zögert, von seiner Waffe Gerbauch zu machen, aber auch nicht so gewalttätig ist, als dass er keine Rücksicht auf seine Angestellten nähme: Bevor er sich mit dem Ranger duelliert, den er für einen Pferdedieb hält, befiehlt er seinen Mann, sich zu verziehen. Es kommt jedoch nicht zum Kampf. Der Ranger erklärt, dass er lediglich um das Tal besorgt sei. Wegen Brunos hartnäckiger Drohungen muss unser Held klarstellen: „Dieses Tal ist so etwas wie ein nationales Erbe. Niemand hat es verändert, seit die ersten Siedler in diesen Teil des Landes gekommen sind.“ Der Ranger räumt ein, dass nach der Gesetzeslage niemand Bruno daran hindern könne, in das Tal einzudringen. Es gibt jedoch einen moralischen Grund. Und just an diesem Punkt bemerken wir in der Nähe ein Kind. Brunos Handeln, sagt der Ranger, „würde eine schöne Naturlandschaft und all die wilden Geschöpfe vernichten, die dort leben, und das ist etwas, was Ihre Kinder eines Tages erben sollen.“ Wieder will Bruno nicht nachgeben. Sein Sohn Jimmer soll eines Tages das Geld erben, das sich mit dem Verkauf von Pferden machen lässt. Der Ranger und Tonto sehen ihn in einer Staubwolke verschwinden und denken über die Lage nach. Sie wissen, dass das Gesetz nicht eingreifen kann und dass die Pferde bald ihren gesegneten Lebensraum verloren haben werden. Die Nacht bricht herein. Die beiden gesetzestreuen Männer werden von Brunos Leuten geweckt, die sie beschuldigen, Jimmy entführt zu haben. Der Ranger beteuert seine Unschuld und bietet die Mithilfe seines Assistenten bei der Suche nach dem verlorenen Erbe an. Bruno entschuldigt sich und nimmt das Angebot an. Bei Tagesanbruch erfüllt Tonto die Versprechungen des Rangers: Er findet Fußspuren des Jungen, die in das Tal führen. Sobald sie das hören, machen sich Bruno und seine Viehtreiber zum Reiten fertig, aber genau in diesem Augenblick donnert, wie von Zauberhand geführt, eine Herde Wildpferde auf sie los, und inmitten des Gebrülls und Staubs verliert Bruno das Gleichgewicht und muss vom Ranger gerettet werden. Der Zwischenfall hat ihnen allen vor Augen geführt, wie schwierig es werden wird, Jimmy zu retten. Der Ranger hat den perfekten Verbündeten, um sowohl den Sohn wie die Pferde zu retten. Er sattelt „Silver“ ab, der einst der König der Herde war – und es noch immer ist – und es deshalb mit den Pferden aufnehmen kann. Ein schwarzer Hengst macht Silver das Recht auf die Herrschaft streitig, wird aber vertrieben. Nun ist der Weg frei. Jetzt können der Ranger und Tonto in das Tal der Wildpferde vordringen. Über Brunos Sohn, den sie gerade in der Ferne entdeckt haben, lauert eine weniger liebenswerte Bedrohung durch die Natur und beobachtet ihn gespannt: Ein Puma ist drauf und dran, den unschuldigen Jungen anzufallen. Weil es unmöglich ist zu schießen, ohne Gefahr zu laufen, Jimmy zu treffen, kämpft und besiegt der Lone Ranger den Puma mit eigener Hand. Er schickt das gerettete Kind und Tonto zurück zu Bruno. Das Hauptproblem, das dürfen wir nicht vergessen, muss allerdings erst noch gelöst werden. Doch Bruno enthebt uns aller Sorgen. Solange er das Sagen hat, soll Wild Horse Valley seinen Frieden haben. Zu dieser Haltung hat ihn sein Sohn Jimmy bekehrt. Der Ranger bedankt sich bei Jimmy dafür, dass er seinen Vater so auf den rechten Weg geführt hat. „Oh, der Lone Ranger hat sich bei mir bedankt“ sind Jimmys letzte Worte, mit denen er sich mit dem Protagonisten identifiziert, während der davongaloppiert – ins nächste Abenteuer, ins nächste Heftchen, in die nächste Serie, den nächsten Film, das nächste Hörspiel, das nächste Buch, das nächste T-Shirt, ach wohin auch immer...
Der Held existiert, weil eine Krise existiert, eine Situation, in der etwas oder jemand bestimmte Grundgesetze in Frage stellt, die für das Funktionieren der Welt notwendig sind. Wenn diese Krise abgewendet wird – und dies gilt für alle Werke der Massenkultur -, dann weil sie von Anfang an als ein Widerspruch angelegt worden ist, aus dem sich ein Ausweg finden lässt. Wäre Bruno zum Beispiel völlig skrupellos – wie in der Wirklichkeit recht häufig -, dann müsste der Lone Ranger entscheiden, ob er Gewalt anwenden soll oder ob er das Gesetz respektieren will. Doch weder der Ranger noch der Leser werden jemals einem solchen Konflikt ins Augen sehen müssen. Denn in jener Comic-Welt sind die Eigentümer des Landes sentimental, haben unschuldige Söhne und sind imstande, zugunsten der Öffentlichkeit auf einen Teil ihrer Gewinne zu verzichten. Subliteratur muss – um ihre Rolle als Tröster zu erfüllen und den Helden in die Lage zu versetzen, die ihm anvertraute Mission auch glücklich zu ende zu führen – dafür sorgen, dass der Leser in der Krise etwas wiedererkennt, was ihn in der realen Welt ebenfalls beschäftigt; etwas, das seinen unmittelbaren Interessen näher steht als ein vager, archetypischer Kampf zwischen Gut und Böse. Dieses Wiedererkennen jedoch muss in einer sorgfältig umschriebenen sozialen Realität stattfinden, deren wesentliche Ursachen und Wirkungen nicht mehr zu erkennen sind. Die Brücken zur realen Welt müssen abgebrochen werden. Im Fall der Überausbeutung der Naturschätze des Wild Horse Valley hat der Textautor ein Nebenphänomen – die aktuelle Bedrohung – hervorgehoben, doch ohne seine wirklichen Ursachen aufzudecken. Weder werden Verantwortlichkeiten benannt, noch werden Prozesse beschrieben. Der Autor versieht uns lediglich mit dem, was wir – um der Methodologie willen – den Anschein einer Krise nennen könnten, die für die Realität steht und die Erfahrungen des Lesers repräsentiert. Es ist, als gäbe man einem Kunden eine Orange, in der sich kein Fruchtfleisch befindet, sondern nur immer noch mehr Schale – und ein bisschen künstliches Aroma dazu. In einer anderen Lone-Ranger-Episode tritt ein Eisenbahner auf, der in den Ruhestand getreten ist, den Lebenswille verloren hat und der nun Selbstmord begehen will. Dank der unfehlbaren Hilfe des Lone Ranger gelingt ihm der Beweis, dass er für die Gesellschaft doch noch zu etwas nütze ist; er rettet einen Zug vor Verbrechen. Dieser Eisenbahner vertritt für den Leser die Situation der meisten älteren Menschen in unserer Welt. Pensionierte ältere Arbeiter in unserer alltäglichen Realität sollten uns eigentlich an eine grausame Familienstruktur gemahnen, an das Los früher Arbeitslosigkeit, an das Niemandsland, in das jene verbannt werden, die nicht mehr genug Kraft für die Arbeit haben. Doch von alldem greift sich der Autor nur die oberflächlichen Erscheinungen des Alters heraus, seine äußerliche Präsenz, seine typischen Phrasen, seine anekdotischen, ja sogar pittoresken Aspekte. Alles andere wird dem Vergessen anheimgegeben. Dem Leser wird niemals erlaubt, sich mit den Ursachen des Elends und des Willensverlusts im Alter auseinander zu setzen, und er kann mit ihnen daher auch nicht realistischer umgehen, als es der Lone Ranger tut. Dasselbe spielt sich in jeder Episode eines jeden Heftchens ab, in all diesen Massenprodukten der Kulturindustrie. Die Krise also, deren Zeuge oder Opfer der Leser in der wirklichen Welt wird, ist nur dem äußeren Anschein nach jener ähnlich, die ihm die Fiktion präsentiert. Sie ist allerdings ähnlich genug, um dem Leser die automatische Korrelation und Ersetzung der einen durch die andere zu ermöglichen, so dass die im Comic gegebene Lösung vom Leser in jene Art von Lösung übersetzt werden kann, die auf seine eigenen, echten, fortdauernden Sorgen anwendbar ist. Daraus muss Erleichterung folgen. Um diese Illusion zu zerstören, müsste man sich nur vorstellen, dass der Ranger das Problem der Arbeitslosigkeit als solches anzugehen hätte anstatt dasjenige eines Mannes, der wegen seines individuellen Fehlverhaltens gefeuert worden ist; oder dass er versuchte, einen Ausweg aus der Falle des fortgeschrittenen Alters in unserer Gesellschaft zu finden, anstatt einen pensionierten Eisenbahner aufzurichten. Doch solche politischen Vorstellungen sind normalerweise vom Markt der Massenmedien verbannt. Der Superheld braucht keine Angst zu haben, sich plötzlich in einer Kellerwohnung wiederzufinden, in der sich aller Schmutz der Gesellschaft, alle unerwünschten, unlösbaren Probleme zu Berge türmen. Der Empfangschef oder Türsteher wird die Schwierigkeiten stets so definieren, dass der Held sie glorreich lösen und aus dem Weg schaffen kann – wofür er dann den angemessenen Applaus einheimst. Ein ganzes Heer von selbständigen, im Untergrund wirkenden Helfern hat längst vorgesorgt, dass alles gut geht. Der Held wird keinen skandalösen, hinterhältigen Attacken auf seine Autorität ausgesetzt. Man nennte sie Glück oder Zufall, Moral oder Psychologie bestimmter Gestalten, die Abwesenheit von Fußangeln, die den Helden im Alltagsleben zu Fall bringen könnten – man nenne sie Schicksal oder Vorsehung, wenn man will; aber man täusche sich nicht. Der Held hat mehr Verbündete als nur Tonto oder Silver. Er eilt nur in einem Universum zu Hilfe, das zuvor verspricht, sich mit seiner Hilfe wieder selbst ins Lot zu bringen, das eine resolute Fähigkeit zu interner Gesundung und Festigung an den Tag legt, das keine peinlichen oder aufsässigen Fragen stellt. Er ist der letzte von vielen Mechanismen, der sichtbarste und gebieterischte, der auf eine typische und identifizierbare Krise einwirkt, die unweigerlich den Nerv des Lesers – und der Gesellschaft – berührt. Diese Krise ist nicht nur entschieden vorübergehender Natur, sie kommt auch ohne echte Menschen aus; Menschen, die arbeiten und produzieren und kämpfen, Menschen, die sich mit den anstehenden Fragen wirklich auseinandersetzen könnten. Der Triumph des Superhelden beruht auf der Aussparung der arbeitenden Klasse, auf der Auslassung einer Gemeinschaft, das die Krise in Angriff nehmen und ihr eine Bedeutung oder eine neue Richtung geben könnte.
Das einzige wirklich gefährliche, aktive Element, das der Superheld besiegen muss, ist von anderem Schlag. Es ist der Schurke. Schurken sind leicht auszumachen. Sie fangen damit an, dass sie einen Hund treten, einen alten Mann schlagen oder ein Kind beschimpfen. Dann beginnen sie um das Privileg zu wetteifern, wer sich am schlimmsten in Grausamkeit, Gemeinheit oder Destruktivität zu ergehen vermag, und herauszufinden, wer mehr Schandtaten gegen Natur, Familie und Privateigentum auf sein Konto verbuchen kann. Es kommt auch vor, dass sie sich bekehren lassen, dass ein Schimmer von „Schwäche“ aufscheint und sie wie ein von Gott gesandter Lichtstrahl erleuchten. Dies trägt nicht nur zur Spannung bei sondern festigt auch die klaustrophobische Vertikalität des Comic-Universums: Wenn sie einen genügenden Anteil an Freiheit in sich haben, einen winzigen Jimmy in ihrem Gewissen, dann wollen sie am Ende womöglich doch wie Bruno werden. Sobald sie dann zur „Menschheit“ gehören, erwerben sie sich das Recht, sich zu bessern und dafür Absolution zu erhalten. Wir dürfen dazu anmerken, dass diese Wahl nicht eben groß ist. Sie können bestraft oder ausgelöscht werden und physisch verschwinden; oder sie können die Normen ihrer Gegner als richtig anerkennen und aufhören, aufsässige und eigensinnige Elemente zu sein. Der abgrundtiefe Widerwille, den wir gegen solche Halunken empfinden, sollte uns jedoch nicht von der Bemerkung abhalten, dass sie die einzigen Gestalten sind, die außerhalb der Gesellschaft stehen und sie dabei in Frage stellen. Es sind jedoch begrenzte, falsche Fragen, die sie aufwerfen, sie reichen nicht bis zu den Wurzeln des Systems; denn diese Gestalten stehen für all jene dunklen, unsteten, elenden Mächte, die die Welt, wie sie wirklich ist, tatsächlich untergraben könnten. In Werken wie jenen von Disney oder Abenteuern wie denen des Lone Ranger ist es – schon von der Definition her – unmöglich, Rebell und gut zugleich zu sein, Revolution – vergeben Sie mir dieses Wort, ich verspreche, es nicht noch einmal zu gebrauchen – ist verboten. So kann also niemand dem Ranger den Vorrang streitig machen, der einzige positive und aktive Faktor zu sein. Die Lösung, die er für die Probleme entdecken wird, die den Leser aufschrecken und umtreiben, befördert die Vorstellung – die für jeden, der der Geschichte tagtäglich hilflos ausgesetzt ist, evident, ja beinahe trivial erscheinen muss -, dass sich die Krise von selber lösen wird. Das System wird – mit ein wenig Nachhilfe von Seiten seiner Freunde – immer wieder auf die Beine kommen, denn es besitzt automatische Normalisierungsmechanismen. Dies ist der berühmte Optimismus der Massenmedien, der seine triumphale Verkörperung im Hollywood von gestern und in endlosen TV-Serien von heute fand und findet. Alles löst sich aufs Angenehmste. Während die Kunst des 20.Jahrhunderts in den Abgründen und Fragmenten einer heillosen, gestrandeten, überproduktiven Menschheit versinkt, bekräftigt die Kunst der Massen, dass sich alle Widersprüche lösen lassen; und im Fall er Action-Comics und –Cartoons lobpreist sie die bewusste Intervention, das glückliche Erscheinen eines Subjekts, das nicht nur aktiv, sondern hyperaktiv ist – eines Individuums, das den Lauf der Geschichte ändern und die Krise erfolgreich meistern kann. Dies ist der Held.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Funktion der Schundliteratur darin besteht, auf die von der Literatur zur Sprache gebrachten Probleme zu reagieren. Die Mehrheit derjenigen, die industrielle Fiction-Produkte lesen, hat nicht einmal die leiseste Ahnung davon, dass sich der Antiheld in den Tiefen eines Romans der aufgeklärten Minderheit gerade fleißig in die Handlungsunfähigkeit hineinanalysiert. Doch sie gehen dasselbe Problem aus einem anderen Blickwinkel an. Sie kehren die häufig pessimistische Botschaft der Künstler und Schriftsteller um und verweigern sich der lebensspendenden Sprache der Kunst. Aus diesem Grund muss der Comic-Heft mit den Bruchstellen des Systems zu Rande kommen, jenen Orten, wo die Nerven schmerzen, wo die zugrundeliegenden, unüberwindbaren Widersprüche offensichtlich werden und geradezu danach schreien, versöhnt zu werden.
Die Präsenz eines Superhelden, der ebenso außerhalb der Gesellschaft steht wie der Bandit – doch insofern Teil von ihr, als er ihre Tugend-Vorgaben teilt -, macht das Chaos und die Unordnung des Wettbewerbs unmöglich. Daher stellen sich Action-Comics als berechenbarer, monotoner und langweiliger heraus als die Arbeiten Disneys. Der Lone Ranger und seine Superheld-Kumpanen agieren als Grenzen, die alle Disharmonie eindämmen. Sie sind Ethik-Landkarten mit unverrückbaren Demarkationslinien oder Verhaltensregeln, die unsichtbar in jedes Herz eingeschrieben sind. Der Lone Ranger fügt die Zerrissenheit und die Konflikte des Herrschenden und Guten horizontal zusammen, indem er Interessen harmonisiert und ausgleicht. Zur gleichen Zeit verweist er jene, die die Grundfesten des Bestehenden vertikal untergraben, auf ihren Platz, in der Regel das Gefängnis. Der Auftritt des Superhelden ist daher immer ein gutes Omen. Er kann erst stattfinden, wenn die ersten Anzeichen einer Irritation eingeführt sind: Der Stacheldrahtzaun sperrt die offene Straße ab, die Büffelherde wechselt über die Bahngleise; die Postkutsche verspätet sich...
Der Lone Ranger selbst ist frei von jeglichen Widersprüchen. Er kann die Wirklichkeit verändern, sie ihn aber nicht. Er reist, schlägt, schießt, springt, galoppiert, ruft. Das Übermaß an Bewegung verbirgt den Umstand, dass er niemals dahinterkommt, wie der Prozess funktioniert. Die ganze Hektik des Helden ist darauf gerichtet, die Welt zur Ruhe zu bringen. Die Wiederkehr der Sicherheit des Lesers fällt mit dem letzten Bild zusammen, in dem der Chor den Helden erkennt und ihm seine berühmten letzten Worte nachruft. Die nächste, identische Episode wartet bereits...Güte, Erfolg und Ruhm werden bei jedem Abenteuer erworben, doch summieren sie sich niemals zu irgend etwas, weil es jemandem, dem es nie schlecht ging, auch nie besser gehen kann. So schnell der Ranger reiten mag, er verharrt doch stets am gleichen Ort, tritt immer der Stelle. Aus diesem Grund kann man jeden Episodenband in jeder beliebigen Reihenfolge lesen. Was der Held wirklich ersehnt, ist, dass der Ort, an dem er eingegriffen hat, so wird wie er: unveränderbar und vollkommen. Die Welt zu verändern erscheint dem Leser in der Folge keineswegs als etwas, was der Cartoon verbietet. Im Gegenteil – all das Aufbegehren, all die Aggressionen und Energien, alle auf Veränderung gerichteten Sehnsüchte und Instinkte des Lesers werden ins richtige Fahrwasser gelenkt, indem er Zeuge und Teilnehmer eines gerechten Kampfs zur Überwindung von Problemen wird, die er mit unerträglichen Situationen in seinem Alltagsleben identifiziert. Aber diese Bewegung ist bloßer Schein. Weder die Wirklichkeit noch der Ranger haben sich verändert. Unter dem Deckmantel der Veränderung wird die Welt genau in jenem Zustand konserviert, in dem sie sich zuvor befand – bevor der Ranger gezwungen war, ihre korrupte Atmosphäre zu läutern, sie wieder zu einem sündenlosen Eden zu machen, die Natur vor menschlichen Irren zu bewahren und die Flut von Natur zu beseitigen, in der die Menschheit zu ertrinken droht. Wenn wir diese Äußerungen als richtig akzeptieren, müssen wir uns fragen, ob die Art und Weise, in der der Superheld die Schwierigkeiten angeht und überwindet, die ihm begegnen, nicht irgendeiner Macht entspricht, die der Leser als täglich in seinem Leben waltende identifiziert, einer Macht, die eine ähnliche Energie und Richtung aufweist. Man nehme beispielsweise die Vereinzelung des Lone Ranger. Von jedem, der in eine Marktgesellschaft hineingeboren ist, wird erwartet, dass er sich ganz alleine, in völliger Einsamkeit durchbeißt. Zusätzlich werden wir belehrt, dass wir viele Male scheitern, weil wir nicht imstande sind, alle anderen auszustechen. Die herrschenden Vorstellungen und das Produktionssystem als solches stimmen jeden Konsumenten darauf ein, die Art und Weise, in der der Lone Ranger mit schmerzlichen Situationen umgeht – in seiner Rolle als der große, unnachgiebige Macho -, als absolut natürlich und lobenswert zu empfinden. Diese Betonung des persönlichen Behauptungswillens im Wettbewerb trifft zusammen mit der gegenläufigen, ergänzenden Neigung zum Paternalismus, die der Ranger ebenfalls zufrieden stellt, wenn er von außerhalb der Welt auftaucht, um Mitleid mit unterlegenden Wesen zu exerzieren. Das System predigt, dass wir uns keine Blöße geben dürfen, wenn wir es schaffen wollen; doch sobald wir mit Überlegenheit gerüstet sind, sobald wir eine Machtposition in der Hierarchie eingenommen haben, ist es unsere Pflicht, den Schwächeren die väterliche Hand hinzustrecken. In Superhelden-Comics werden diese Brutalität des Wettbewerbs und die Sanftmut des Mitleids in einem Wesen verschmolzen.
Bisher ist der Lone Ranger als Repräsentant und Exekutor ideologischer Tendenzen und Mechanismen aufgetreten, die in der Welt des Lesers unwillkürlich vorherrschen. Der Ranger hat jedoch auch eine spezifische Sendung – für Gerechtigkeit zu sorgen -, und die erfüllt er, weil die örtlichen Machthaber ihre Probleme nicht aus eigener Kraft zu lösen vermögen. Offenbar kombiniert der Protagonist sein Interesse am fairen Showdown mit dem Willen, Ordnung zu schaffen, Konflikte zu schlichten und alles aus dem Weg zu räumen, was Verwirrung stiftet oder fehl am Platze ist – stets im Dienst traditioneller Werte und Kriterien. Der Ranger handelt im Namen eines Ideals, der vollkommenen „Gerechtigkeit“, immer bereit, den unparteiischen Schiedsrichter zu spielen, der sich in einer Auseinandersetzung auf keine Seite schlägt. Fehlendes Eigeninteresse ist daher für sein Durchsetzungsvermögen von entscheidener Bedeutung. Sein ist die Gerechtigkeit, Tugend sein Preis. Er ist verständlicherweise das Liebkind der Natur. Er beansprucht nur das, was unbedingt braucht, um weiter funktionieren und seine Aufgabe erfüllen zu können. Was immer ihm die Natur beschert, wird in das öffentliche Wohl investiert und niemals für persönliche Zwecke zur Seite gebracht. Auf diese Weise erscheint seine Machtergreifung niemals als willkürliche oder unterdrückerischer Akt, sondern als folgerichtige Manifestation einer Ordnung, die weit von säkularen Gesichtspunkten entfernt ist und dadurch eine vollkommene Befriedung herstellen kann. Weil er nicht an den Wohltaten des Systems teilhat, kann er zu einer Autorität aufsteigen, die vom Leser geachtet und schließlich auch von allen anderen Comic-Gestalten hoch geschätzt wird. In der historischen Welt des Lesers gibt es nur eine Macht, deren Existenz und Handlungen in gleicher Weise dargestellt werden, die die gleiche Funktion beansprucht wie der Ranger im literarischen Artefakt: der Staat.
Der Ranger verrichtet sämtliche Funktionen des Staates und bedient sich dazu derselben Methoden. Er ordnet die Welt, setzt den Auswüchsen des Privateigentums Grenzen, während er es zugleich verteidigt, gleicht unterschiedliche Meinungen objektiv aus. Dennoch hat der Leser nicht den Eindruck, dass der Protagonist ein Organ der Unterdrückung ist. Er wird nicht einmal als soziale Macht erlebt, weil er seine dynamischen Qualitäten aus der Natur bezieht, aus dem diffusen und allgegenwärtigen Tal, das er in der Episode, auf die wir uns zunächst konzentriert hatten, konkret verteidigt. Die ist die Art und Weise, auf die der Lone Ranger – wie die anderen Superhelden auch – die ahistorischen Gesetze und ewigen Werte vertritt, die sich der Unveränderlichkeit des Menschen verdanken. Er ist der Gesandte des Göttlichen, ohne jedoch aufzuhören, Individualität, Unmittelbarkeit, persona zu sein. Der gemeine Mann wird zum Staat. Über die Maske kann der Leser diesem „Ich“ alle seine Energie als Subjekt übertragen, weil die enormen Fähigkeiten und Tugenden des Superhelden von bestimmten Schwächen oder Mängeln relativiert werden, die es dem Leser erlauben, ein enges Verhältnis zu ihm zu entwickeln, das Gefühl, ihn zu kennen. Für Arthur Asa Berger besteht eine der Funktionen der schizoiden Zweitpersönlichkeit von Superman darin, dass seine Machtvollkommenheit immer wieder einmal demokratisiert werden muss; denn wenn ihr freier Lauf gelassen würde, könnte sie den Superhelden in die Richtung einer auf seine offensichtliche Überlegenheit gegründeten Aristokratie führen. Das ist es, was Carlyles und Nietzsches Übermenschen des 19.Jahrhunderts, den Angehörigen einer Elite, der hochmütig auf die Massen hinunterschaut, von einem Sprössling des Platen Krypton oder des Wild Horse Valley unterscheidet, der nicht von Philosophen, Generälen und Königen konsumiert wird, sondern vom kleinen Mann mit seinen Geldnöten und seinem Alltagskummer.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Superhelden freiwillige Fremde, Außenseiter am Rande zum Outlaw. Dies Maske des Ranger ist die Garantie für seine Grenzsituation, für seine Verweigerung gegenüber der Unpersönlichkeit des verfassten Staates. Durch die Doppelnatur reproduziert der Superheld die Zwiespältigkeit, der der schutzlose Mensch im Verhältnis zum Staat und zu den Ordnungsfaktoren seines Lebens in einer in Schichten aufgeteilten Gesellschaft unterliegt. Der Lone Ranger und seine Freunde ersetzen, ergänzen und reflektieren die Haltung des Lesers zum Staat, jene Mischung aus Ehrfurcht und Misstrauen. Wie im Alltagsleben wird der Konsument zum Zeugen der Selbstregulation eines politischen und ökonomischen Systems, das seinen eigenen, vermeintlich unerbittlichen und festgefügten Gesetzen folgt und an dem er normalerweise nur aus der Distanz und sehr selten teilhat. Die Action-Comics jedoch erlauben dem Leser, an der tatsächlichen Anwendung der Gesetze Anteil zu nehmen, die auch in seiner eigenen Welt gelten. Sobald der Leser diese Gesetze verinnerlicht und auf den Protagonisten projiziert hat, eliminiert er die Widersprüche und Probleme, die ihn bedrängen. Der Staat, der sich täglich mehr von jenen löst, die er zu vertreten behauptet, geht auf dem Umweg über das heroische aktive Subjekt in das konsumierende passive Subjekt über. Es ist kein Zufall, dass neben dem formalen System der repräsentativen Demokratie und dem allgemeinen Wahlrecht das Star-System ins Leben getreten ist. Es war der nächste, logische Schritt in der Darstellung der öffentlichen Persönlichkeit – jener Gestalt, die durch ihre anekdotische Individualität die in sie gesetzten und in ihr gesammelten Hoffnungen kristallisiert und die Bühne betritt, um Geschichte zu machen (oder doch wenigstens Schlagzeilen). Zur gleichen Zeit wird der Durchschnittsbürger als ihr Helfer präsentiert, der ihr auf dem langen und schwierigen Weg ein wenig zur Hand geht – wie Tonto. Wie der Stumme, der Zorro begleitet, hat er in dem Maß an den gefällten Entscheidungen Anteil, in dem er sich voll mit dieser Gestalt identifiziert. Auf diese Weise überwindet jedes Individuum die Ferne des Staates. In jeder Episode lebt der Leser sein Leben und seine Probleme aus, und dann fängt er damit wieder von vorn an. Er übt seine demokratischen Rechte durch die Taten eines anderen aus, er orchestriert sein eigenes Gespür für die Krise mittels einer mythischen Figur. Der Leser wird zum Staat und übernimmt seine Funktionen; er eignet sich fiktiv jene Geschichte an, deren Opfer und Objekt er ist.
Die Gestaltung der Welt und der Geschichte in Action-Comics ist daher keineswegs ein Akt der Rebellion. Die Grundaufgabe, die alle Menschen bewältigen können, besteht darin, das Gesetz und seine vertrauenswürdigen Vertreter selbst entscheiden zu lassen, wie sie Probleme lösen wollen. Es ist verantwortungsbewusst genug, die Lösungen des Lone Ranger gutzuheißen. Mehr ist nicht vonnöten. Der Mechanismus, der die Identifikation des Lesers mit dem Protagonisten besiegelt und ihr die Richtung gibt, ist paradoxerweise das unaufhörliche Auftreten der öffentlichen Mächte von Gesetz und Ordnung im Comic selbst. Ganz hinten im Kopf des Lesers wird der Staat als Exekutor seiner Funktionen mit Hilfe eines Apparats gesehen, der letztlich alle Versuche unter Kontrolle hält, vom normalen Gang der gesellschaftlichen Ordnung abzuweichen oder sie in Frage zu stellen. Die Macht jedoch, die in den Comics die tatsächlichen militärischen Funktionen des Staates ausübt, die Macht, die über die physische Fähigkeit verfügt, angemessen einzugreifen, den Gegner auf Null zu bringen, seine problematische Natur zu vernichten, ist der Superheld, jenes Wesen, das große Umsicht walten lässt, um seine Gegner nach Möglichkeit nicht zu töten. Die Funktion der staatlichen Autoritäten besteht dagegen gerade darin, zu nichts anderem fähig zu sein, als sich über den Helden lustig zu machen, ihn gelegentlich sogar zu verfolgen und dabei beinahe seine heilige Mission zum Scheitern zu bringen. Sie werden als ausgesprochen unfähig hingestellt. Die Kavallerie kommt stets zu spät; der Sheriff besäuft sich; manchmal sind die Vertreter der „Ordnung“ korrupt; der Polizeichef will den falschen Mann ins Gefängnis sperren etc. Natürlich geht diese Verächtlichmachung der Ordnungsvertreter nie über einen bestimmten Punkt hinaus. Also ohne diese Mitwirkung von Seiten der Superhelden und ohne die unentwegte moralische und dramaturgische Unterordnung der Autorität unter diesen überragenden und vollkommenen Bürger sind Ordnung, Gerechtigkeit und sozialer Friede unmöglich. Um die Umkehrung komplett zu machen, erscheint das Individuum, der Einsame – jener Teil des Lesers, der im wirklichen Leben höchstwahrscheinlich passiv, gehemmt und ewig frustriert ist – in der Handlung als aktiv, dominant, beherrschend und als Quell realer Macht, ohne die keine wirkliche Herrschaft möglich ist. Der mythische amerikanische Westen ist die perfekte Bühne für ein solches Psychodrama. Dort sind die staatlichen Mächte von Gesetz und Ordnung notwendigerweise zersplittert und unzulänglich. Es muss ein Weg gefunden werden, das Recht unmittelbarer durchzusetzen – durch das universelle Gute, das sich auf einige wenige Glückliche konzentriert. Wo keine bewaffnete Staatsmacht vorhanden ist, können die Menschen auf eigene Faust Ordnung schaffen oder, um mit Cawelti zu sprechen, die Wüste in einen Garten verwandeln. Wie man sieht, ist die soufflierte Botschaft, an der strikt festgehalten wird, immer dieselbe. Der Staat steht nicht im Gegensatz zu seinen eigenen Bürgern. Er übt sein Mandat zum Wohl der Gesellschaft als ganzer aus. Die Rechtsprechung ist nicht nur nicht willkürlich, sondern wird sogar von Privatindividuen unterstützt, von Gestalten, mit denen der Leser leben und die er kennen lernen kann; Männer, die die Sachwalter jener staatlichen Macht jedes Mal korrigieren und ihnen helfen werden, wenn sie ihre Aufgaben nicht mehr ordentlich erfüllen. Die öffentlichen Mächte, die im Staat ihre ureigenen Funktionen ausüben, doch nur in Zeiten akuten Ungehorsams oder Widerstands mit all ihren repressiven Charakteristika offen auf den Plan treten, sind hier zu Hilfsinstitutionen umdefiniert, zu bloßen Helfershelfern. Sie existieren lediglich, um die Positionen zu sichern, die Privatpersonen bereits erobert haben. Der Kunde ist König. Der Militärapparat ist nicht mehr als ein Hausangestellter, oder im Nachtrab jene Gerechtigkeit aufrechterhält, die das System selbst beständig absondert, das Gleichgewicht und den Konsens, den die Geschichte geschaffen hat. Der Superheld verschafft dem gewöhnlichen Menschen den Zugang zum Walten des Staates, er erlaubt ihm, über sich selbst die innere militärische Repression auszuüben, die jeden Zweifel zum Schweigen bringt – und all dies, ohne sein Misstrauen gegen die staatlichen Autoritäten ablegen zu müssen. Die Randständigkeit des Protagonisten wird zum Ausdruck der Distanz zum und des Misstrauens gegen den Staat, während seine Super-Kräfte und seine Unbezwingbarkeit die Ehrfurcht und die Angst vor der staatlichen Macht verdichten. Niemand versucht, den Staat zu zerstören, der lediglich tut, was man von ihm erwartet – nur besser, wirkungsvoller und als erster. Diese Comics kanalisieren das kritische Potential des Lesers in zwei divergierende Richtungen, die auf dem Schauplatz des Geschehens schließlich aufeinandertreffen: Der Leser kann entweder oberflächlich rebellieren, wie bei einem Wettbewerb oder einem Wettlauf, in dem er beweist, dass er die herrschenden Normen besser verwirklichen kann als der gefürchtete, aber auch geachtete Apparat; oder er kann frontal rebellieren und sich von jenem Bösen bestimmen lassen, das man als Kriminalität oder Verrücktsein kennt und das vom Superhelden und seinem begeisterten Verbündeten zu Recht unterdrückt wird; und dieser Verbündete ist wiederum der Leser selbst. Die angestaute Aggressivität des Konsumenten und Bürgers wird in zwei unversöhnliche Teile aufgespalten – einen, der gelobt, zugelassen, belohnt wird; und einen, der „rebellisch“ und destruktiv ist und noch mehr Unordnung stiftet. Der Leser unterdrückt sich selbst, indem er gegen den gemeinsamen Feind Partei ergreift, der sein eigener potentieller Mangel an Unterwerfung, sein eigenes „Böses“ ist, seine eigene Suche nach wahrer Gerechtigkeit in einer Welt, in der es keine solche gibt. Er teilt sich in zwei Hälften, und die eine vernichtet die andere.

- Ariel Dorfman

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