Dienstag, 10. November 2009

Wir brauchen dich


Günter Mayer hat die Angewandte Musik als Reaktion der Komponisten auf das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit der Kunst definiert. Was heißt das ?
Die Medien Rundfunk, Fernsehen, Film, Tonträger und das Internet haben zu einer massenhaften Verbreitung von Musik geführt, die alle bürgerliche Öffentlichkeit des 19. Jahrhunderts sowohl quantitativ als auch von der sozialen Zusammensetzung weit überschreitet. Da Film und Tonträger in kapitalistischer Produktionsweise hergestellt und nach ihren Gesetzen auf dem Markt angeboten werden, und da sich Rundfunk und Fernsehen diesen Gesetzen anpassen, versuchen sie, es dem nur diffus bestimmbaren Adressaten (sie wollen ja an alle verkaufen) so leicht wie möglich zu machen. Sie entwerfen ein bewusst niedrig gehaltenes und nivelliertes Niveau beim Abnehmer.
„Händler lancierten Bildung und verpöbelten das Volk von oben. Parole war, keine Anstrengung vom Publikum zu fordern, damit der Profit verbürgt sei. Eine Flut von Artikeln, Bildern und Geschichten überschwemmte die Erde, ein Markt der Illusionen und der Idealisierung war organisiert.“ (Carl Einstein)
Brauchbarkeit als Stilfrage ergibt einen „gemäßigt modernen“, eingeebneten Stil.
Die Musik spielt eine entscheidene Rolle bei der Modellierung der Zuschauerreaktion auf den Film. Der Hollywood-Film hat am charakteristischsten Verfahren der musikalischen Verpackung ausgebildet, die dem Zuschauer das Filmprodukt möglichst eindrucksvoll, angenehm und widerspruchsfrei nahe bringen sollen. Diese Art der Verpackung bezieht sich nicht nur auf die Titel und Schlussmusik; sie geht auch tief die Mikrostruktur des Film ein. Musik ist zur Stelle, um dramaturgische Schwächen des Films zu kaschieren, Schnitte zu überbrücken, Leerlauf von Dialogen mit einem Surrogat von Spannung zu erfüllen, handelnde Figuren mit der Aura des Bedeutsamen auszustatten. Sie suggeriert im gewünschten Moment Gefühle, die der Zuschauer gerade haben soll. Die Funktion der Zerstreuung , die der Film hier insgesamt zugewiesen bekommt, bedeutet, dass er Bedürfnisse wie Liebe, Glück, Kollektivität, Abenteuer scheinbar befriedigt, durch die scheinhafte, also nicht reale Weise der Befriedigung die Bedürfnisse modelliert, ablenkt, sie ihrer systemsprengenden Kraft beraubt, und sie in der dem Kapital gemäßen Form weiter perpetuiert.
Die Frage „wer braucht was wozu“ verkehrte sich zum „was bezahlt wird, wird gebraucht“.
Das ist billig.
„Billige“ Musik ist die Musik, die uns alltäglich umgibt, die Clubmusik, der Folksong, der Gassenhauer.
Die Musik wird so der Einfühlungsdramaturgie entzogen und damit selbst ein Stück der Realität, die den Stoff für das Kunstwerk abgibt. Soziale und lokale Signifikanz werden möglichst nivelliert – bis auf Exotismen. Musik manifestiert so die Absicht zu überzeitlicher und übersozialer Gültigkeit, was einer Tendenz der Monopolisierung gleichkommt.

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