Montag, 15. März 2010

Cyril Tourneur – ein Tragiker


Cyril Tourneur entsprang aus einer Paarung eines unbekannten Gottes mit einem Freudenmädchen. Sein göttlicher Ursprung erweist sich aus der heldenhaften Gottesleugnung, die er auf sich nahm. Seine Mutter vererbte ihm den Drang zur Empörung und zur Unzucht, die Furcht vor dem Tode, die Schauer der Wollust und den Hass gegen die gebietenden Mächte; von seinem Vater hatte er die Liebe zur Macht; den Stolz zu herrschen und die Freude am Schaffen; beide gaben ihm die Neigung zur Nacht, zum roten Licht und zum Blut.
Der Zeitpunkt seiner Geburt ist unbekannt; aber er erschien an einem schwarzen Tag in einem Pestjahr. Kein himmlischer Schutz wachte über dem Mädchen der Liebe, das von einem Gotte schwanger war, denn sie hatte ein paar Tage vor ihrer Niederkunft Pestflecken am Leib, und die Tür ihres kleinen Hauses war mit einem roten Kreuz gekennzeichnet. Cyril Tourneur kam beim Ton der Begräbnisglocke zur Welt. Man erzählt, die Finsternis sei so groß gewesen, dass der Totengräber die Tür des verpesteten Hauses mit einer Pestfackel habe suchen müssen; ein anderer Erzähler versichert, der Nebel auf der Themse habe scharlachrote Streifen gehabt, und aus dem Munde der Sturmglocke seien Affenstimmen hervorgebrochen; sicher und außer allem Zweifel ist, dass sich ein flammender, rasender Stern über dem Dachwinkel zeigte, und dass ihm das neugeborene Kind durch eine Dachluke die Faust wies.
Es gibt keine Möglichkeit aufzuhellen, was er bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr dachte oder trieb, wie sich seine geheime Göttlichkeit kundgetan, noch wie er sich von seinem eigenen Königtum überzeugt hat. Einen dunkeln und erschrecklichen Auszug bietet die Aufzählung seiner Lästerungen. Er erklärte, Moses sei bloß ein Gaukler gewesen und ein gewisser Heriots viel geschickter als er. Dass der Gottesdienst schon in seinen ersten Anfängen die Menschen nur in Schrecken erhalten sollte. Dass Christus eher den Tod verdient habe als Barabbas, trotzdem Barabbas ein Dieb und ein Mörder war. Wenn er es unternähme, eine neue Glaubenslehre zu schreiben, würde er sie nach einem weit vortrefflichern und viel großartigern Plan aufbauen und das Neue Testament habe einen abstoßenden Stil. Dass er genau so berechtigt sei, Münzen zu schlagen, wie die Königin von England.
Cyril Tourneurs Taten zeigen eine mit noch stärkerer Rachsucht verbundne Gottesfeindschaft. Man stellt ihn dar in einem langen schwarzen Gewand, auf dem Haupt eine stolze Krone mit zwölf Sternen, den Fuß auf der Himmelskugel, den Erdball in seiner rechten Hand. Er lief durch die Straßen in Pest- und Sturmnächten. Er war wachsbleich wie geweihte Kerzen, und seine Augen leuchteten weich wie brennender Weihrauch. Einige behaupteten, er habe auf der rechten Hüfte die Spur eines sonderbaren Siegels aufgewiesen, aber es war nicht möglich, dies nach seinem Ableben festzustellen, denn niemand sah seine sterbliche Hülle.
Zu seiner Geliebten erwählte er eine Dirne von der Bankside, die in den Uferstraßen ihrem Berufe nachging, und er liebte einzig sie. Sie war ganz jung, und ihr Gesicht war unschuldig und hell. Er gab ihr den Namen Rosamunde und hatte ein Mädchen von ihr, das er sehr liebte. Rosamunde starb eines traurigen Todes, ein Edelmann hatte sich ihrer angenommen. Man weiß, dass sie aus einem Kristallglas smaragdgrünes Gift trank. Damals kreuzten sich in Cyrils Seele Rache und Stolz. Nächtlich lief er durch die Hauptstraße an den Hofleuten vorbei, in seiner Hand eine langhinflammende Pechfackel, und wollte den adeligen Giftmischer erkunden. Der Hass gegen jede Geltung stieg ihm in Mund und Hand. Er belauerte die Landstraßen, nicht um zu stehlen, sondern um Adelige umzubringen. Auf die Fürsten, die um diese Zeit verschwanden, fiel das Licht der Fackel Cyril Tourneurs: sie sanken, von ihm getötet.
Nachdem er seinen Hass gegen die Mächtigen gestillt hatte, ergriff ihn der Hass gegen die Götter. Der göttliche Stachel, den er in sich hatte, spornte ihn, schöpferisch zu wirken. Er dachte, er könne ein Geschlecht aus seinem eigenen Blute stiften und sich als Gott auf Erden fortpflanzen. Er sah seine Tochter an und fand sie Jungfrau und begehrlich. Um seine Absicht angesichts des Himmels zu vollenden, fand er keinen inhaltsreicheren Ort als einen Friedhof. Er schwor, dem Tode zu trotzen und eine neue Menschheit zu erschaffen inmitten der von göttlichen Gesetzen gutgeheißenen Zerstörung. Von alten Knochen umringt, wollte er junge Knochen zeugen. Cyril Tourneur besaß seine Tochter auf dem Deckstein eines Beinhauses.
Eine Überlieferung besagt, dass sein Stolz noch höher stieg. Er ließ einen Thron in seinem schwarzen Garten errichten und pflegte sich darauf niederzulassen, goldgekrönt, bei Blitz und Donner. Einige sahen ihn so und rannten davon, erschreckt von den bläulichen Nadeln, die um sein Haupt sprangen. Er las in einer Handschrift die Gedichte des Empedokles, die niemand seither wiedergesehen hat. Er gab oft seiner Bewunderung für den Tod des Empedokles Ausdruck. Und das Jahr, in dem er verschwand, war wieder ein Pestjahr.
Es war eine mit unheilvoller Lebendigkeit hinrollende weiße Feuerkugel; sie nahm Richtung auf Cyril Tourneurs Haus, das mit metallischen Lichtern gesprenkelt erschien. Der Mann, in Schwarz und goldgekrönt, erwartete auf seinem Thron die Ankunft des Himmelsfeuers. Wie vor den Schlachten im Theater erhob sich ein dumpfer Trompetenlärm. Cyril Tourneur wurde eingehüllt von einem Schein zerstäubten rosigen Bluts. Trompeten, in die Nacht gerichtet, tönten, wie im Theater, eine Trauerfanfare. So wurde Cyril Tourneur stürzend hingerissen zu einem im verschwiegenen Wirbel des Himmels hausenden, unbekannten Gott.


- Marcel Schwob

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