Mittwoch, 10. März 2010

Der Zombie als letzter Autor


Der Begriff „Autor“ hatte lange Zeit nicht die Bedeutung und Präsenz, die er heute hat, da er an keinerlei Rechte oder Besitzansprüche geknüpft war. Es gab schon in der Antike gewisse Vorstellungen von Autorschaft, einem Werk wurde ein Name zugeordnet, ein Eigentumsrecht hatte der Verfasser jedoch nur an seinem Manuskript, nicht am Inhalt. Eine festgelegte Definition gab es auch nicht. Für Platon war der Autor ein unbewusstes Medium für die göttliche Inspiration, für Aristoteles ein kompetenter Kenner seiner Kunst. Das ändert sich auch nicht entscheidend im Mittelalter. „Eine zusammenfassende Vorstellung von literarischer Autorschaft (…) existiert in der Regel nicht“. Der Fokus lag nicht auf der „Erschaffung“ von originellem Material, es war Sache des Autors, auf möglichst raffinierte und kunstvolle Weise Geschichten in Form zu gießen. Es wurde keinen Wert darauf gelegt, ob die Geschichte „neu“ war. Erst im 18. Jahrhundert entstand das Konzept des juristischen Autorenmodells, also die Vorstellung, dass ein Autor automatisch die Besitzrechte an seinem Text hat, und damit auch die Verantwortung für den Inhalt. Ein spezielles Interesse an einem solchen juristischen Autorenmodell hatten daher vor allem die Zensurstellen. Der frühe Zweifel an einem solchen Konzept zeigt sich unter anderem daran, dass in Frankreich zwischen 1789 und 1793 gestritten wurde, ob ein Text nicht sofort in den Besitz der Öffentlichkeit übergehen müsse. Ein juristisches Urheberrecht wurde in England erstmals 1709 kodifiziert, in Frankreich 1793 und in Preußen 1794. Allerdings ist auch heute noch in vielen Ländern der Fall, dass dieses Recht nur für einen bestimmten Zeitraum gilt und die Texte nach Ablauf der Frist wieder der Allgemeinheit zufallen.
Die im 18. Jahrhundert aufkommende Genie-Ästhetik führte dann zu dem Konzept des „authentischen“ Originalschriftstellers, was ein Hinweis auf stärker werdendes auktoriales Selbstbewusstsein ist. Damit verfestigte sich der Gedanke, dass der „Autor“ etwas Eigenes „erschaffe“, etwas, das Unabhängiges und Neues darstelle und nur ihm zugeordnet werden kann: ein Text, der aus dem Autor entsteht und nicht nur durch ihn. Der Autor wurde als Individuum betrachtet, auf das sich der Text beziehen und von dem ausgehend er sich erklären lässt. Dadurch, dass weniger Wert gelegt wurde auf die strikte Einhaltung der Regeln der Poetik und mehr auf den Inhalt, wurde immer stärker auf den Autor als Mensch und Genie fokussiert.

Johann Gottfried Herder ging sogar soweit zu sagen: „man sollte jedes Buch als den Abdruck einer lebendigen Menschenseele betrachten können (…) denn das Leben eines Autors ist der beste Commentar seiner Schriften“ Die Person des Autors war der Schlüssel zum Verständnis seines Textes, sein „Werk“ der Schlüssel zu seiner persönlichen Entwicklung. In vielen Theorieansätzen steht der Autor auch heute noch im Mittelpunkt. Den Extremfall stellt die psychoanalytische Literaturtheorie-Methode dar. Allerdings war schon lange statuiert worden, dass das Verhältnis Text-Autor nicht ganz so schlicht ist, und dass das Verhältnis sich nur über subtilere Wege ergründen lässt, als den reinen Inhalt des Textes. Wolfgang Kayser schrieb 1959, dass bereits nach dem 16. Jahrhundert nicht mehr in Romanen zwischen „Wahrheit“ und „Erzählung“ unterschieden wurde. „Eine Wahrheit im Sinne verifizierbarer Tatsächlichkeit wird für den Roman nicht mehr angenommen, jedenfalls nicht bei denen, die über das literarische Leben zu urteilen haben.“

Ein Bewusstsein dafür, dass Autor nicht mit dem Erzähler gleichzusetzen ist, war also schon früher vorhanden. Trotzdem wird der Autor als Verursacher des Erzählers angesehen, auch wenn dieser nicht direkt den Verfasser vertritt.

Der Autor wurde in der Postmoderne problematisiert, aber nicht neu konfiguriert. Er befindet sich in einer Position, in der ihm die Kritik an seiner Position und seinem Tun, das In-Zweifel-Ziehen der Originalität seiner Werke bewusst sein muss, ohne dafür eine andere Lösung zu haben, als nicht mehr zu schreiben. Er wurde für tot erklärt, ist aber immer noch da und in Gebrauch, im Schatten der Literaturtheorien der Postmoderne. Dennoch werden weiter Bücher geschrieben, und der Autorname apologetisch benutzt, aus Mangel an Alternativen. So wird der Autor zu einer Art Zombie, der zwar präsent ist, aber nur noch „Agens“, kein Schaffender, sondern Reproduzierender. Auster und Moers finden sich in diese Rolle ein, unterlaufen den Prozess, indem sie ihn aktiv und bewusst offenlegen und dadurch zum Thema selbst machen. Das Werk, das als unabhängig vom Autor deklariert wurde, bezieht nun den Autor auf solche Art und Weise ein, dass der Verfasser so extrem getrennt gesehen werden muss vom Werk, dass er tatsächlich unsichtbar wird. Wenn der Autor Teil des Buches ist, mit solchen schwammigen Verbindungen, wie Walter Moers uns letzten Endes nicht glauben machen will, dann werden Autor und Werk eins. Das heißt im Grunde genommen, dass der Autor, nachdem er für tot erklärt, lebendiger denn je wurde. Eine Größe mit der man arbeiten kann und rechnen muss, die aber unberechenbarer und beweglicher ist als zuvor. Es fand wohl tatsächlich eine Resonanz bei den Autoren statt, die neue Sicht auf den „Autor“ hat unter anderem zu dem geführt, was wir heute „postmoderne Literatur“ nennen. Aber so wie die Postmoderne eine schwer erfassbare und kategorisierbare Epoche war/ist, vage und viel zu vielfältig in den Eigenschaften und Merkmalen, die ihr zugeschrieben wurden, so ist auch der Autor eine vage Größe geworden. Dadurch, dass es keine definitiven Angriffspunkte gibt, nichts, was von der Postmoderne wirklich unhinterfragt und unwidersprochen stehen blieb, aber trotzdem noch aktuell ist, ist kaum abzusehen, dass wir uns jemals aus der Postmoderne heraus bewegen werden, beziehungsweise überhaupt können. Es ist relativ leicht, sich damit zu arrangieren. Dave Eggers schlägt in der Einleitung zu seinem autobiographischen Roman „Heartbreaking work of staggering genius“ lakonisch vor, dass man, wenn einen der starke Bezug zum Leben des Verfassers stören würde, einfach die Namen im Buch ändern solle und sofort wäre es Fiktion.

Denn obwohl der Autorbegriff früher nicht so definiert war, wie seit den Zeiten des Aufkommens des Geniegedankens, ist eine Rückkehr dahin nicht mehr möglich. Eine derart profunde Infragestellung eines Phänomens wie sie in der Postmoderne stattgefunden hat, macht eine Neuordnung schwierig und, wie Eggers beweist, ist sie auch gar nicht notwendig. Dieser fröhlich-resignative Ansatz in der Praxis egalisiert den Bedarf nach einer theoretischen Lösung in einer Zeit, in der wir vor den Trümmern der dekonstruierten Dogmen stehen und uns gelassen darin herum kugeln können und gar nicht gezwungen sind, neue zu bauen.


- Dorothea S.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen