I. Der Illusionismus.
§. 1.
Der Materjalismus war eine schöne Zeit! Der Mensch war, was er ass; „er ist, was er isst“; sein Gehirn produzirte die Gedanken, wie die Leber die Galle; und sein Geist war das Resultat seines Magens. Wie frohlokten wir auf den Schulbänken, als wir endlich wussten, was der Mensch war, allen spiritualistischen Kram aus unseren Schulranzen hinauswarfen und dem Religionslehrer, der uns den Thomasius’schen Sünden-Begriff erklären wolte, frech die Zunge entgegenstrekten! Denn was gab uns den Halt? Wir hatten eine radikale Formel. Wir wussten, dass der Himmel nicht mehr existirte, und dass wir allein auf der Welt waren. Das war das Grosse am Materialismus, dass er mit schlankem Beilhieb den transzendentalen Kopf vom fisischen Rumpf löste und nichts zurückliess, was sich zu einem Schlangenköpfchen Lernäischen Razionalismuses hätte entwickeln können.
§. 2.
Seitdem ist es schlimm und schlimmer geworden. Zuerst kamen die Fechner’schen Tränen über das verlorengegangene Jenseits; man wagte die Gründung einer neuen Disziplin, der „Psicho-Fisik“, und – richtig! die Seele war wieder da, hereingeschmuggelt auf dem denkbar unglaublichsten Wege; alle Luken hatte man verstopft, und mit der – Fisik kam sie. Es folgten die Iammerlaute deutscher Fisiologen und ihr „Ignoramus!“ (Um jene Zeit fielen die Werke des Naturfilosofen Schelling bei Cotta von M. 122.– auf M. 40.–). Und seither ist es kläglich zu sehen, wie die Psichologen und Fisiologen, der psicho-fisische Materjalismus, die Vertreter der experimentellen Psichologie auf materjalistischer Grundlage und jener auf hipnotistisch-psichologischer Grundlage, die psicho-fisischen Parallelisten und filosofisch-materjalistischen „Monisten“ um die arme Seele sich abmühen, nach ihr haschen und sie wieder loslassen, sie haben möchten, aber doch ihrer eigenen materjalistischen Vergangenheit nicht untreu werden wollen. – „Sie aber werden zerdroschen werden wie Stroh zerdroschen wird und wie Koth.“ Jesaia 25, 10. – Die Halbheit ist das Schlimste. Das Geschwäz um eine unsichere Sache, statt der Tat, das Erbärmlichste. Psichik und Fisik. „Eat a cake and have a cake“, wie der Engländer sagt: den Kuchen essen, und ihn doch noch haben wollen. Erst die Seele fisisch konstruiren, und sich dann sagen müssen, dass man sie doch nicht hat. Das ist die Signatur der gegenwärtigen Psichofisiker. Und ich sehe schon den deutschen Meister kommen, der die Seele wieder an ihre Stelle sezt, und Euch Alle so gründlich in dem Zauberkessel der täuschungsreichen Maya untertauchen wird, dass Euch Hören und Sehen vergeht.
§. 3.
In der Tat, die Behandlung, die man seit der Oberherrschaft des Materjalismus dem Denken hat angedeihen lassen, macht den denkbar komischsten Eindruck. Spencer erklärt das Denken für „gehemte Hirn-Reflexe“, ohne uns sagen zu können, wie denn aus einem Reflex, einer sinlich perzipirten Bewegung, ein – Gedanke, aus Materie – Bewusstheit entstehen solle; und ohne sich an Descartes zu erinnern, der uns gelehrt, dass Denken und Ausdehnung Geistiges und Körperliches, unvereinbare Dinge seien, deren Ineinander-Uebergehen für das Denken – und dieses macht doch die Filosofie – eine schlechterdings unmögliche Annahme sei. Spencer hat dies auch bis zu einem gewissen Grad gefühlt, indem er „Bewusstsein eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse“ nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name „materjalistischer Monist“ nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes’schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! – Hic Rhodus, hic amice salta! – Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. – Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie „der Urin das Produkt der Nieren“, ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von „psicho-fisischem Parallelismus“, und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort „Parallelismus“ ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des „Parallelismus“ als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk „Parallelismus“ ist ein Bild aus er Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts. – Aehnlich steht es mit dem Bild des „Spiegels“, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. – Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des „psicho-fisischen Materjalismus“ einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass „Ideen Muskelzusammziehungen“ seien; oder: dass „Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen“ seien; und „Muskelempfindungen die Grundlage unserer Persönlichkeit“ sind. Hier wird man unwillkürlich – man verzeihe! – an das kräftige Wort Scheffel’s vom „Hegel’schen Mist“ erinnert. Zu der idealistischen Exagerazion dort haben wir hier das materjalistische Gegenstük. Die Herren werden uns nächstens sagen, auf welchen Muskelspannungen „Wiz“, „Kausalität“, „Mitleid“, „das Edle, Wahre und Gute“, und vor Allem „der Unsinn“ beruht, damit ihnen zur Lösung des Menschenrätsels nichts mehr übrig bleibe – bis auf’s Denken!
§. 4.
Was ist das grosse Hindernis, Geistiges und Körperliches auseinanderzuhalten, sie definitiv zu trennen, wie die einfache Überlegung meines Denkens verlangt? Die Erscheinung. Die Erscheinung ihrer Gleichzeitigkeit, oder doch ihrer Zusammengehörigkeit. Weil ich Schmerz empfinde, wenn ich gestochen werde, weil mein Gemüt bewegt wird, wenn ich Musik höre, weil ich einen Vorstellungs-Inhalt habe, wenn man mit mir spricht, weil mein Geist sich übel befindet, wenn mein Magen nicht in Ordnung ist, weil mein Denken beeinflusst wird, wenn ich berauschende Getränke oder gewisse Arzneimittel zu mir nehme, weil mein Geist auslischt, wenn man aus einer Ader mein Blut fliessen lässt! Die Aufeinanderfolge dieser Erscheinungen zwingt die Materjalisten zu ihren Teorieen. Die Wucht dieser Erscheinungen war es auch, die selbst Descartes stolpern liess, jenen konsequenten Denker, der Körperliches und Gedachtes für immer getrent zu haben glaubte. Sehen wir, wie wir später mit dieser „Erscheinung“ fertig werden.
§. 5.
Nun ist klar: was die Materjalisten am liebsten los wären, – ist das Denken. Denn hier beginnt ihre Schwierigkeit. Ihre Teorie verlangt absolute Einhaltung des Programms, dass das gesamte Dasein des Menschen in materjellen Vorgängen sich abspiele, seine gesamte Persönlichkeit in Gehirn-Reflexen sich erschöpfe. Und das Gesez der Erhaltung der Energie, der Unveräusserlichkeit der Materje, zwingt sie von ihrem Standpunkt aus zu rigoroser Erfüllung dieses Programms. Wo ist hier Raum für’s Denken? Trozdem ist dieses, wie es scheint, da. Aber der Sprung aus der Materje in dieses Absolute ist ohne Preisgebung des gesamten Programmes unmöglich. Also das, was die Materjalisten am liebsten los wären, und am liebsten los sein wollen müssen, ist – das Denken. Daher die verzweifelten Versuche, sich um dieses herumzudrüken, die einladensten Bilder, von diesem Verhältnis der Materje zum Denken sich eine irgendwie zufriedenstellende Vorstellung zu machen; daher die Wendungen, dem Denken eine mehr nebensächliche, lediglich „zuschauende“ Rolle zuzuerteilen, es als „eine im Grunde ganz überflüssige Begleiterscheinung“ anzusehen. Ja, ein jüngster Forscher verwahrt sich gegen die „Anteilnahme der ,Seele’ an den Verrichtungen des Thierleibes (Menschen)“ und verlangt die konsequente Durchführung der Auffassung des „menschlichen Organismus als Mechanismus begriffen“. – Was bliebe angesichts dessen für Jemanden, der den baroken Gedanken fasste, sein Denken nicht für die Nebensache, sondern für die Hauptsache zu halten, übrig? – Sein Denken. – Für Einen, dem die Vorstellung, dass sein gesamtes Dasein als Mechanismus beschlossen sei, unerträglich wäre, was bliebe ihm übrig? – Sich in sein Denken zu retten. – So wie einst Descartes aus den skeptischen, zweifelsüchtigen Anwandlungen seines Jahrhunderts sich herausriss, indem er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, ausrief: Ich zweifle; also denke ich! – müsste er von seinem Denken ausgehen – nicht von der Materje; denn von hier aus ist die Erreichung des Denkens ausgeschlossen – und von hier aus versuchen, zu einer Weltanschauung zu gelangen. Diesem Versuch seien die folgenden Zeilen gewidmet.
§. 6.
Einen Vorteil hätte dieser Modus immerhin. Denn während der den Menschen als „Mechanismus“ begreifen wollende Materjalist auf die ihm (und seinem Begreifen) unterschiedene Aussenwelt angewiesen ist, wäre der Spiritualist, der das Denken vom Denken aus untersuchen will, bereits mitten in seiner Materje drin. – Was wird nun dasjenige im Denken sein, welches mich bei meiner Untersuchung, wie den Leser bei dieser Schilderung, am intensivsten von der Omnipotenz dieses merkwürdigen, inneren Erlebnisses überzeugen wird? – Der Leser erwarte nicht, dass ich hier im Stile der älteren Psichologen ein vollständiges Inventar unseres Geistes nach Vorstellungen, Empfindungen, Gefühlen ihm vorführe, oder nach Art unserer modernen Hipnotisten die reizvollen Untersuchungen über das Verhalten unserer Psiche bei jeweilig empirisch geänderten Bedingungen hier schildere. Das Alles könte mich nicht fördern; noch mich von der ausschlaggebenden Wichtigkeit, von dem Primat, meines Denkens überzeugen. Wer die gesamte Welt vom Denken aus konstruiren will, muss es von seinem Denken aus tun. Und wer es von seinem Denken aus unternehmen will, muss es von einem persönlichen Erlebnis in seinem Denken aus tun. Und erst die Übereinstimmung im Denken des Lesers mit dem Denken des Verfassers (soweit die Sprache es zulässt) unterscheidet über die Tüchtigkeit eines Sistems. – Was ist nun dasjenige persönliche Erlebnis in uns, welches uns am entschiedensten, am direktesten, oft in erschreckender Weise, den Gedanken von der Genuität, von der Ursprünglichkeit des Denkens nahelegt? – Der Zwangs-Gedanke. Die Inspirazion. Die Halluzinazion. – Woher der plözlich, wie aus heiterem Himmel, mitten in unsere alltäglichen Vorstellungen hineinplazende Gedanke, der nichts ähnliches vor sich noch nach sich hat, wie ein erratischer Block mitten in unserem Denken liegt, nicht weichen noch wanken will, und uns unwillkürlich den Schritt hemmen heisst? Woher der plözliche Einfall bei einem Luther, der, in Form einer religiösen Tese gekleidet, allen bis dahin bestandenen gemütischen Schwierigkeiten und Grübeleien ein Ende macht, ohne in der Richtung der bisher gehegten teologischen Zweifel zu liegen, ganz im Gegenteil von der entgegengesezten Richtung komt, wie eine Befreiung wirkt, und von der Stunde an aus einem ängstlichen, bekümmerten, elenden Menschen einen glaubensstarken, in sich gefesteten, mit unglaublicher Rüksichtslosigkeit vorgehenden Kämpfer und Anführer der Geister macht, dessen Einfluss Jahrhunderte überdauert? – Woher der fast wörtlich übereinstimmende Vorfall bei Descartes, der mitten im Kriegslager bei Neuburg an der Donau, an einem von ihm festgehaltenen Tag, am 10. Nov. 1619, von einem Gedanken überrascht wird, dessen Eintritt ihm selbst unbegreiflich ist, und der, an die Spize seiner Dedukzionen gesezt, zum Grund- und Ekstein der modernen filosofischen Spekulazion wird? – Woher das ganz ähnliche Ereignis bei Jacob Böhme, der bei einem rein äusserlichen, ihm in der Erinnerung gebliebenen, Anlass, wie er erzählt, beim Betrachten eines glänzenden Zinn-Geschirrs, zuerst, und mit einem Schlag, auf jene Ideen geführt wird, die sein ferneres, teosofisches Sistem beherschen, und aus ihm, einem Schuster, einen der wirkungsvollsten Denker und tiefsinnigen Grübler machen? – Woher der noch rapidere Vorfall bei Swedenborg, der plözlich während des Mittagessens in London von einem inneren Vorwurf überfallen wird, genau genommen von einer Halluzinazion, die ihn von dem Moment an zur inneren Umkehr nötigt, und aus einem lebenslustigen, weltmännischen Gelehrten einen Spiritisten und Geisterseher werden lässt? – Woher endlich die ganz übereinstimmenden Aussagen von Künstlern, hervorragenden Denkern, überhaupt von innerlich stark beschäftigten Menschen, die glükliche Einfälle haben, Inspirazionen, ohne welche sie sich nicht zur Arbeit entschliessen können, welch’ leztere von ihnen allen in ganz naiver Weise als fremde, ausser ihnen selbst gelegene, Einflüsse gedeutet werden, und die aus ihnen allen, von Mahomed bis auf Calvin, von Luther bis auf Helmholtz ausgesprochene Deterministen und Anhänger der Prädestinazionslehre gemacht haben? – Wir nennen nach ogischer Abwandlung ein Denken „induktiv“, welches im Untersaz einen neuen Gedanken bringt, der sich nicht vom Obersaz ableiten lässt, und stellen es dem blos „deduktiven“ Denken als eine höhere Form gegenüber Wir nennen generell das induktive Denken „genial“ und deuten damit auf eine fremde Quelle in unserem geistigen Leben hin, welche nur dem glüklichen Finder giesst, nicht durch Anstregung herbeigezogen werden kann, und unserem gewöhnlichen, in Assoziazionen verlaufenden Denken entgegengesezt wird, in das es „induzirt“, eingeführt wird. Also Erfahrung wie Logik kennen gleicherweise jenes geistige Erlebnis in uns, welches ein direkter Hohn auf alle kausale Verknüpfung ist, eine Form des Geschehens, die gleicherweise unser materjelles wie psichisches Leben beherrscht.
Für die moderne Psichologie auf materjalistischer Grundlage haben diese plözlichen Einbrüche in unser Geistesleben wenig Schwierigkeiten. Sie sind, sagt sie, Vorstellungen, wie jede anderen, nur fehlen die Zwischenglieder, es fehlt der Beginn der Reihe. Unser Denken, sagt sie, verläuft in Form der Assoziazionen, von Denkinhalten, die für sich eine kausale Reihenfolge bilden, wie die Gehirn-Reflexe, deren Abbilder sie sind; nur fallen sie nicht alle in unser Bewusstsein; und was nicht in’s Bewusstsein fällt, ist eben unbewusst. – Ich muss sagen, wir stehen hier vor einer der kindischsten und puerilsten Leistungen in unserem zeitgenössischen Denken. Wer sagt uns, dass es „unbewusste Vorstellungen“ gibt? Ungedachtes Gedachtes ist eine contradictio in adjecto; eine Verneinung bei gleichzeitiger Behauptung. Entweder ist die Vorstellung etwas Geistiges, dann ist sie bewusst. Denn nur in dem Charakter der Bewusstheit kennen wir Geistiges. Oder die Vorstellung ist nichts Geistiges – warum sie dann Vorstellung nennen, womit wir doch den Begriff von etwas Gedachtem verbinden? Warum sie dann nicht lieber Funkzion nennen? Aber hier stiesse die Psichologie auf den materjalistischen Aker, und würde empfindlich zurükgestossen werden. Denn von einem Übertritt von Psichischem in den mechanischen Gehirn-Reflex wollen die konsequenten Materjalisten nichts wissen. Also auch hier dieselbe Zweideutigkeit und Unklarheit in unserem Denken, die wir schon oben gerügt haben. Auf der einen Seite soll die „unbewusste Vorstellung“ etwas Geistiges an sich haben, denn sonst könnte sie ja in der psichischen Kausalreihe nicht figuriren, und den „Einfall“, den „Zwangsgedanken“, als bewusst herausgefallenes Glied aus der Assoziazions-Kette, nicht erklären. Auf der andern Seite aber soll die „unbewusste Vorstellung“ wieder nichts Geistiges an sich haben, denn sonst fiele sie ja, als Geistiges, in unser Bewusstsein, wo sie eben nicht da ist, und wo ihr Fehlen erklärt werden soll. Also die Frage nach der Herkunft des assoziazionslosen Zwangs-Gedankens, des „Einfalls“, in unserem Denken ist durch den Hinweis auf „unbewusste Vorstellungen“ nicht beantwortet, sondern mittelst eines dualistisch angelegten, das Kausal-Gesez umgehenden, Begriffs-Kunststüks unter den Tisch geworfen.
§. 7.
Betrachten wir die Halluzinazion! – Es ist bekant, dass sie als solche ein durchaus in die Breite fisiologischer Gesundheit fallendes psichisches Ereignis ist. Wir haben also hier nicht nur eine psichiatrische Frage vor uns. Die Halluzinazion ist ein Einbruch in mein Denken, der nicht rein geistige Leistung bleibt, sondern – empirisch gesprochen – mit einer Projekzion in die Aussenwelt verknüpft ist, also in den Bereich der Erscheinung fält. Ueber ihr fisiologisches Entstehen sind Alle, Psichiater wie Psichologen, soweit einig, dass sie dieselbe zentral entstehen lassen, in der Hirnrinde, resp. in der Vorstellung; dass selbe – als zentraler Vorgang – fisiologisch identisch ist mit der durch Sinnesperzepzion, in Folge „äusseren“ Reizes entstandenen Wahrnehmung, und dass sie von hier aus nach aussen projzirt wird. Also ein Baum, den ich halluzinire, entsteht als zentraler Prozess in meinem Hirn, resp. in meiner Vorstellung, und wird von hier aus in die Aussenwelt verlegt, wo ich ihn sehe, während ihn meine Nebenmenschen nicht sehen. Aber wie komt es, dass ein Prozess, der in der Regel von aussen nach innen verläuft – der in der Aussenwelt wirklich vorhandene Baum wirkt als Reiz auf mein Auge und pflanzt sich fort bis in mein Hirn, wo er als Baum gesehen wird – nun auf einmal den umgekehrten Weg einschlägt, und, wie die Halluzinazion von Innen nach Aussen geht? Nicht nur wäre dies höchst auffallend und widerspräche allen unseren Kentnissen über Nerven-Fisiologie. Sondern auch das Experiment in Hinsicht der Lokalisazion der Funkzionen der Gehirn-Rinde hat gezeigt, dass Reizung einer sensoriellen Stelle der Hirn-Rinde, z. B. des Sehfeldes niemals perifer einen Seh-Akt oder eine Licht-Empfindung auslöst; während umgekehrt perifere Reizung, z. B. des Nerven-Stumpfes des opticus stets zentral eine optische Wahrnehmung wekt. Woher also der umgekehrte Weg bei der Halluzinazion? – Darauf werden uns die Psichologen vielleicht antworten, dass die Hinausverlegung des halluzinirten Baumes in die Aussenwelt, wo er wirklich gesehen wird, nur funkzionelle Bedeutung habe, nur ein für die Auffassung des Halluzinanten gültiges Ereignis sei, während der wahrhafte Vorgang einzig zentral verlaufe. Der Meinung sind wir auch. Aber wo stekt dann der Unterschied zwischen einem wirklichen und einem halluzinirten Baum, da der zentrale Prozess der Wahrnehmung ja für die Halluzinazion wie für die normale Sinnes-Empfindung der gleiche ist? Wie steht es überhaupt mit dieser Aussenwelt? Wie komt es, dass ich die Aussenwelt nicht als Innen-Welt empfinde, nachdem die wirkliche Wahrnehmung der Aussen-Welt nur ein in meinem Innern, zentral-verlaufender Prozess ist? Wie komt es, dass ich die Aussenwelt, nach Meinung der Materjalisten, erst von Aussen nach Innen empfinde, und sie dann nochmals von Innen nach Aussen verlege, nachdem dieser leztere Weg dem Halluzinanten verschlossen ist und, wie wir gesehen haben, aus fisiologischen Gründen der Leitungsbahnen, nicht zugestanden werden darf? – Hier gibt es also von Zweien nur Eins: Entweder findet die Verlegung meiner zentralen Wahrnehmung in die Aussenwelt als Aussenwelt wirklich statt, dann muss sie auch für meine Halluzinazion (die der normalen sinlichen Wahrnehmung als zentraler Prozess gleich gesezt ist) gültig sein. Dann aber ist Halluzinazion mit Aussenwelt-Wahrnehmung identisch; und der für die normale Sinnes-Wahrnehmung, supponirte primäre Weg von der Aussenwelt in das Zentrum meines Innern ist überflüssig und auch unwahrscheinlich, da nicht angenommen werden kann, dass die Natur ein und denselben Weg einmal hin und dann wieder retur macht. – Oder: der Weg für die Verlegung des zentralen Wahrnehmungs-Inhaltes in die Aussenwelt ist für die Halluzinazion ungültig, dann ist er es auch für die normale Sinnes-Wahrnehmung, die ebenfalls in der Aussenwelt gesehen wird, und die, was den zentralen Prozess anlangt, mit der Halluzination gleich ist. Dann findet also keine Wahrnehmung in der Aussenwelt statt, sondern bloss in meinem Innern. Nun findet aber Wahrnehmung wirklich statt. Demnach bleibt nur die erste Alternative: dass normale Sinnes-Wahrnehmung wie Halluzinazion in gleicher Weise aus dem Innern in die Aussenwelt projzirt werden. Da aber dann der vorausgehende Weg des Eindringens der Aussenwelt in mein Inneres bei der normalen Sinnes-Wahrnehmung überflüssig wird – auch wenig wahrscheinlich ist, und auch sinnfällig nicht stattfindet; denn der Baum dringt doch nicht in meinen Kopf – so ist die Welt Halluzinazion.
§. 8.
Wenn die Welt für mein Denken eine Halluzinazion ist, was ist sie dann für mich, den Erfahrungsmenschen, für meine Sinne, ohne die ich nun einmal nicht Haus halten kann? – Eine Illusion. – Wahrhaftig kein neuer Gedanke. Alle idealistischen Sisteme von Brahma bis Kant waren dieser Ansicht. – Sind wir aber damit fertig? – Keineswegs! Es entsteht die Frage: wie komt die Welt als Illusion in meinen Kopf? Wie komme ich dazu, in meinem Denken die Welt als Wahrnehmung zu halluziniren? Der rastlose Arbeiter in meinem Geist fragt: Warum? – Woher? – Die moderne Psichologie hat zur Erklärung – nicht der Welt als Halluzinazion, dies ist eine metafisische Untersuchung – aber der grob-sinlichen Halluzinazion, der Halluzinazion als Erscheinung, der Zwangsvorstellung, der Sugestion – die Teorie des „Unterbewusstseins“ aufgestelt, der „subliminal consciousness“, wie die Engländer sagen, oder „souconscience“ der Franzosen. Es könte scheinen, als ob dieses Unterbewustsein in Stande wäre, alle die plözlichen Einbrüche in mein Denken zu erklären. Und indem ich den Einwand gelten lasse, argumentire ich wieder als ein dem hinfälligen Gebiete der Erfahrung Angehöriger. Aber es wird sich zeigen, dass wir an das „Unterbewusstsein“ genau die gleichen Fragen stellen müssen, wie an das „Unbewusstsein“. Wie soll ein Einfall aus dem „Unterbewusstsein“ in mein „Oberbewusstsein“ gelangen? Wollen wir keinen kausallosen Sprung wagen, so müssen beide Zentren assoziativ verbunden sein. Soll nun auf dieser Bahn eine „bewusste Vorstellung“ hinauf gleiten, die oben bewusst und unten bewusst ist, wie komme ich in meinem Oberdenken dazu, sie für einen „Einfall“ zu halten, für einen Einbruch in mein Denken, für etwas aus dem „Unbewussten“ Geborenes, für eine „Halluzinazion“, da ja gerade ihr assoziazionsloser, nicht vorher mit Bewusstsein begabter, Charakter, sie mir als einen „Einfall“ erscheinen lässt? Und die Sache wird nicht dadurch besser, das ich sage: die zwei Bewusstsein-Bezirke verhalten sich wie zwei Iche, wie zwei Persönlichkeiten. Und wären es zwei komplet ausgebildete Menschen nur mit Haut und Knochen überzogen, so sind sie entweder mit ihrer Organisazion getrent, dann ist eine Verbindung nicht möglich, und der Streit vom Doppelbewustsein ist aus; oder sie sind verbunden, es laufen Assoziazionen hin und her, dann muss die mit Bewusstsein anlangende Funkzion als mit Bewusstsein begabte aufgenommen werden, und die Empfindung des „Einfall“, als kausallosen Einbruchs in mein Denken ist nicht möglich. – Schläft aber die „Vorstellung“, die Funkzion, in dem unteren Bezirk unbewusst (ist also ein rein materjeller Reflex), wie soll sie dann – oben oder sonst wo in der Welt – bewusst werden, nachdem dieser Übergang von Körperlichem in Bewusstes seit Descartes – und Du Bois Reymond hat es den heutigen Naturwissenschaftlern mit seinem „Ignoramus!“ nochmals ausdrüklich eingeschärft – eine für uns unausdenkbare Sache ist?! – Hier ist also keine Rettung. Und alle die reizvollen Untersuchungen der Hipnotisten und Psichologen über die Doppel- oder wievielfältige Anlage unserer Psiche, wie im „unbewussten Zählen“, im „unbewussten Schreiben“, im „unbewussten Aufmerken“ u. dergl., mögen, als in die Erscheinung fallend, für mein Erfahrungsleben als praktische Unterscheidungen brauchbar sein, ebenso wie ich die Aussenwelt von meiner Wahrnehmung der Aussenwelt unterscheide, loquendi gratia: das Grün des Baumes von dem Baum-Grün, was ich empfinde – für mein Denken, für meine metafisische Untersuchung, sind sie ungültig, denn ich kann sie als Denkender nicht begreifen. Sie können vor meinem Denken nicht Stand halten.
§. 9.
Damit stehe ich also wieder am alten Flek. Da ich die „Halluzinazion“, den Einbruch in mein Denken, die Inspirazion, weder aus einem zweiten Bewusstseins-Bezirk erklären kann, noch viel weniger aus einer materjellen Substanz entstanden mir denken kann, so stehe ich vor der alten Frage: Wie komt die „Halluzination“ – wie komt die Welt, die ich als Halluzinazion, als kausallose Wahrnehmung erkant habe, in mein Denken? – Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, ist mir natürlich die eine Seite, die Welt-Seite, verschlossen; denn dort ist ja nur, wie wir gesehen haben, der Verbreitungs-Bezirk der Illusion, dort ist die Manifestazions-Fläche meiner Halluzinazion. Nach vorn also – um mich räumlich auszudrücken, und eine Richtung anzudeuten, die nur in der Erscheinungswelt Gültigkeit hat und in der Verlängerung meiner Augenachsen liegt – ist mir der Weg verschlossen; es bleibt mir nur – wiederum illusorisch gesprochen – der Weg rükwärts von meinem Denken, um meinem Kausalbedürfnis hinsichtlich der Herkunft meiner „Einfälle“ Genüge zu leisten. Was kann nun dahinten liegen, welches für mich die Quelle so ausserordentlicher Ereignisse, mein ganzes Leben im Denken wie in der Erscheinungswelt bestimmender Tatsachen ist? Etwas Denkendes? Etwas Geistiges? Etwas Psichisches? – Unmöglich! Denn dann hätte ich ja den Assoziazionsfaden nach rükwärts gegeben, und könte durch das Bewusstsein vermittelst dessen mir einzig Geistiges mitgeteilt wird, die Herkunft nach Hinten verfolgen. Ich hätte dann keinen „Einfall“, sondern eine Denkreihe. Gerade aber die fehlt mir, und der abrupte, plözliche Einbruch in meine Psiche ist es, die mich so frappirt, und die ich ergründen will. Also irgend etwas Psichisches oder Bewusstes kann ich nicht hinter meinem Denken annehmen. Etwas Nicht-Psichisches, Unbewusstes, Materielles, noch viel weniger, denn dann fiele ich ja in den Fehler der Hipnotisten, die aus einem unbewussten Reich Bewusstsein ziehen wollen. Was ist aber das, was weder etwas Psichisches, Gedachtes, noch etwas Körperliches, Materjelles ist? –
Wir benüzen zu unserer gegenseitigen Verständigung durch die Sprache immer Abbilder aus der Erscheinungswelt. Es ist dies eine unumgängliche Form unseres Denkens, eine – um mich in meinem Sistem auszudrüken – Art meines Halluzinirens, meines Manifestirens; und auch da, wo ich nicht mehr in meinem Denken weiter kann, oder, wo mein Denken sich nicht mehr adäquat in der Erscheinungswelt manifestiren kann, gebrauche ich, als Ausdruk des Widerstandes, des Nicht-Weiter-Könnens, einen Laut, einen Ausdruk, der immer noch dieser Erscheinungs-Welt entnommen ist; – die einzige Möglichkeit, mich mit meinen der Erscheinungswelt angehörenden Nebenmenschen zu verständigen, und ihnen Kunde von meinem Denken zukommen zu lassen.
Hier also, wo ich effektiv nicht mehr weiter kann, habe ich ein Recht und die Pflicht ein Bild aus der Erscheinungswelt zu gebrauchen: Wenn ich, in der Absicht einen von mir eingeschlagenen Weg auf der Strassse. zu verfolgen, plözlich vor einem Zaune stehe, der mich am Weiter-Gehen hindert, so kann ich immer noch, obwohl ich damit die Strasse, und damit meine Absicht, verlasse, auf den Zaun steigen, um drüben Aussicht zu halten, eventuell über den Zaun hinübersteigen. Hinübersteigen heisst lateinisch transcendere. Und hievon abgeleitet heisst transzendental in der Filosofie eine Untersuchung, in der ich das Gebiet der Erfahrung, sei es der Erfahrung im Denken sei es in der Erscheinungswelt, verlassen habe, oder zu verlassen im Begriffe bin. In eben diesem Falle befinden wir uns selbst. Auf die Frage also: was kann hinter meinem Denken für eine Quelle liegen, die nach den angestelten Untersuchungen weder bewusste noch materjelle Qualität an sich haben darf, aber die nicht auf assoziativem Wege sondern durch Einbruch in mein Denken entstandenen, und hier angetroffenen Bewusstseins-Inhalte erklären soll – eine Untersuchung die mein noch innerhalb meines Denkens wirkendes Kausalitäts-Bedürfnis gebieterisch fordert? – kann ich die Antwort geben: Es ist ein transzendentaler Grund. Es ist eine transzendentale Ursache. Ein Prinzip. Irgend Etwas. Ein Ding, das ich benamen kann, wie ich will, wenn ich nur nicht vergesse, dass die Sache jenseits meiner Erfahrung liegt, der Name aus der Erscheinungswelt stamt.
§. 10.
Ich könte die so gewonnene transzendentale Causa, mein metafisisches Prinzip recht gut Unterbewusstsein nennen, denn hinter oder unter mein Bewusstsein verlege ich – räumlich gesprochen – die Quelle meiner Eingebungen, meines Daseins; wenn nicht dieser Ausdruk bereits von den sog. Experimental-Psichologen im Sinne von etwas Bewusstem, oder Materjell-Funkzionellem, je nachdem, verwendet worden wäre, in welchem Sinn ich ihn unmöglich brauchen kann. Ich könte mein Prinzip ebensogut das Unbewusste nennen, wenn nicht auch dieser Ausdruk bereits, sogar filosofiisch, in der unverantwortlichsten Weise gemissbraucht worden wäre. Ich könte ebensowohl meine Sache Denken a priori oder reine Vernunft nennen, wenn nicht der Verwendung dieser Termini eine ganz genaue, hier nicht zwekdienliche, Auseinandersezung mit Kant vorausgehen müsste. Ich will sie aber Dämon nennen, einmal: weil ich damit den Begriff eines schaffenden, wirksamen, eingebenden, vordrängenden Prinzips verbinden möchte; zweitens: weil ich damit in Erinnerung an Sokrates den Charakter des Halluzinatorischen, oder halluzinatorisch sich Aeussernden verbinden möchte; drittens: weil ich den Begriff des Individuellen (hier, als Ausgangspunkt meiner Untersuchung , des Genius-Artigen) damit verknüpfen will: denn mein Denken will ich erklären; nicht das der andern Leute; auf meine Eingebungen bin ich angewiesen, nicht auf die meiner Nebenmenschen. – Beileibe darf man aber darunter nichts Mytologisches im Sinne der alten Griechen, noch Teologisches im Sinne des Christentums verstehen. Sondern lediglich ein metafisisches Prinzip, für das Jeder sich einen ihm adäquater dünkenden Namen wählen könte. Ich könte es ebenso gut das Brahma nennen.
II. Der Dämonismus.
§. 11.
In welcher Form stelt sich mir nun mein Denken und die Körperlichkeit dieser Welt von Seite des Dämon, des gedachten transzendentalen Prinzips, aus betrachtet dar? Nur als causa efficiens, als antreibende Ursache, darf ich mir den Dämon in transzendentalem Sinn denken; sein Wirken ist mir gänzlich unbekant; könte ich es, so müsste ich es entweder aus der Erscheinungswelt kennen; diese ist aber für mich, für meine Wahrnehmung, Halluzinazion, ist mein Produkt, und als illudorisches Machwerk gar nicht fähig, mir über den Dämon etwas mitzuteilen; – oder ich müsste es aus dem Denken kennen; aber gerade hier finde ich kausallose Ereignisse, wie meine Einfälle, meine Halluzinazionen. Also stelle ich den Dämon an die Grenze, wo ich keine causa mehr finde, aber eine causa verlange, also als transzendentale causa. Dann ist er aber rätselhaft und ich darf ihn rätselhaft nennen, da keine mit mir gleichgeschaffene Intelligenz im Stande ist, hier Besseres oder Deutlicheres zu liefern. Der Dämon ist also ein aus dem Transzendentalen mit Notwendigkeit gewonnener Faktor, um mein mit Kausalbedürfnis ausgestattetes diesseitiges Denken und die an ihm hängende Erscheinungswelt zu erklären. –
Anders steht die Sache in meinem diesseitigen Denken, in meinem Denken als Erscheinung, wie es mir aus unmittelbarem Beobachten bekant ist, und im Bereich der mit ihr verknüpften Aussenwelt. Hier habe ich kein Recht mehr, kausallose, d. i. meinem Denken zuwiderlaufende Ereignisse zuzulassen. Nachdem ich hinter mir den Ariadne-Faden geknüpft, kann ich und muss ich an ihm, beim Vordringen in das Labirint meines Denkens und der Erscheinungswelt, mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, eine Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das Descartes’sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? – Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit Descartes und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als einen Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen – bildlich gesprochen – an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. – Ist dies nicht unerhört? – Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit Berkeley wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie Kant, Fichte, Schopenhauer, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten Grund der Erscheinung des Weltbildes eine kreïrende Eigenschaft unserer Psiche erkant. Wir haben aber täglich dieselbe Erscheinung in unserer Erfahrungswelt vor uns: Der Halluzinant sieht eine Gestalt in der Aussenwelt, er hat eine Idee von der Gestalt in seinem Geiste, er handelt genau so, wie wir einer wirklichen Gestalt gegenüber handeln, und keine Macht des Himmels ist im Stande, ihm diese Gestalt auszureden. Und doch ist sie für uns nicht vorhanden. – Gäbe es eine Intelligenz, die so über uns stände, wie wir über dem Halluzinanten stehen, sie könnte uns sagen, dass die Aussenwelt nicht real existirt, sondern unsere Halluzinazion ist, wie wir dem Halluzinanten sagen, dass seine Gestalt nicht existirt, sondern seine Halluzinazion ist. Wir würden es freilich nicht glauben, so wenig es der Halluzinant uns glaubt. Weil bei uns beiden der Zwang zu mächtig ist. Die genante Intelligenz könte aber tröstend hinzufügen: Dass wir uns benehmen müssen, als wenn die von uns halluzinirte Welt real wäre; und auf Momente würden wir es glauben, wie es der Halluzinant in lichten Momenten auch einsieht. – Da nun überdem die Halluzinazion von der modernen Psichiatrie und Psichologie definirt wird: einmal hinsichtlich ihres zentralen Auftretens als fisiologisch identisch mit dem bei uns allen stattfindenden Prozess der Wahrnehmung der Dinge im Raum; ferner, hinsichtlich ihrer Projekzion in die Aussenwelt, als einen nur im Innern, zentral, im Vorstellen, sich abspielende Erregung, die sich nicht in der Richtung des nervus opticus, geschweige der Aussenwelt, realiter fortpflanzt, – was hindert mich, nunmehr gestüzt auf die Naturwissenschaften, den Analogieschluss zu führen: dass auch für mich die Aussenwelt nur meine Halluzinazion ist, der ich ebenso zwangsmässig unterliege, wie der von mir als solcher erkante Halluzinant? – Es könnte hier noch der Einwurf gemacht werden, wieso es komme, dass ich nie zur Erkentnis meiner Welt-Halluzinazionen komme, wie es doch der Halluzinant manchmal komt. – Dies ist aber – naturwissenschaftlich betrachtet – eine biologische Frage, eine entwiklungsgeschichtliche Untersuchung, die ich ebensowenig klipp und klar beantworten kann, wie die: woher es komme, dass ich nie von meinem Kausalgesez etwas spüre. Ich könte höchstens darauf hinweisen, dass in der geschichtlichen Zeit, da ich begann, diese Welt selbsttätig zu kreïren, aus mir zu projziren, ich, naiv, wie der Schöpfer ist, keine Zeit, kein Hirn, und keine Intelligenz hatte, mich zu informiren, eine Super-Intelligenz, ein Dämon, der mich belehren konte, damals, so wenig wie heute, zu meiner Verfügung stund, und ich, vollauf mit meiner Schöpferarbeit beschäftigt, mit analitischen Fragen mich nicht beschäftigen konte; dass aber später, durch die Gewohnheit eingelernt, ich nicht mehr merkte, was ich tat, und, sowenig ich heute den Luftdruck über mir spüre, der gewaltig ist, ich ehedem die Leistung ahnte, die ich mit der Welt-Projekzion vollbrachte, und die gewaltig ist. –
§. 12.
Was aber gewinne ich durch diese Darlegung?! So schwer die Zumutung an den Erfahrungsmenschen ist, diese Welt als sein Halluzinazionsprodukt anzusehen, was gewinne ich durch diese ganze Darlegung?: Den Schlüssel zu meiner ganzen Posizion. Die Identität von Körper und Geist, das Zusammenfallen von Ausgedehntem und Gedachtem, die Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Aussenwelt. Ich denke und verwirkliche das Gedachte nicht nur a tempo, im gleichen Zeitmoment, sondern auch – bildlich gesprochen – ad un luogo, am gleichen Ort. Und da meine Zeitschäzung nur das Resultat meiner inneren Vermutung ist, zwischen meiner Wahrnehmung und ihrer Projekzion in die Aussenwelt besteht eine Streke, auf der ich zähle. So nehme ich mit meiner falschen Vermutung auch die Zeit zurük, und erkenne sie als ein – zwangsmässiges – aber illudorisches meiner Wahrnehmung anhaftendes Merkmal. Und ich befinde mich in der Situazion jenes Schläfers, der, als in der Frühe an seine Tür geklopft wurde, rasch noch einen Traum träumte (ein Duell u. dergl), der seinerseits durch das Klopfen ausgelöst wurde und nach mehreren Episoden ebenfalls mit dem Klopfen, das im Traum ein Schuss u. dergl. ist, schliesst; wobei er erwacht; und nun erkent, die Traumstreke, die sich anscheinend zwischen zwei Endpunkten abgespielt hat, falle überhaupt mit dem einzigen Klopfmoment zusammen, und erweise sich seiner irdischen Zeitmessung gegenüber geradezu anihilirt; so dass er empirisch gezwungen ist, an den Traum zu glauben, logisch gezwungen ist, die ihm gehörige Zeitstreke zurükzunehmen. — Mit der Zurüknahme der Aussenwelt in mein Denken nehme ich aber natürlich ebenfalls den Raum zurük, eine Bestimmung, die, wie sie unvermeidlich mit der Projekzion in etwas ausser mir gegeben war, nunmehr beim Zusammenfallen meiner räumlichen Halluzinazion mit meinem Denken in Nichts zerfällt. — Und da mein Körper, mein Kopf, mein Hirn, meine Ganglienzelle und der Gehirn-Reflex, den ich hier beachte, Teile der Aussenwelt sind und Illusions-Produkte, wie Alles andere ausser mir, so ziehe ich mich auf mein Denken, zurük; und Alles was ich tun kann, ist, mir zu sagen: vor mir ist Alles ausgelöscht; aber nach rükwärts zu greifen, und mir zu sagen: wenn etwas ist, so ist es hinter mir, so ist ein hier mich fassendes Prinzip, ein Dämon, der mich kreïrt und mich zwingt, ohne meine Schuld, zu denken, räumlich und zeitlich mich zu drehen, und in diese nur indirekt durch mich geschaffene Welt zu schauen, für die ich vielleicht nur Mitleid und Verachtung habe, — dies rükwärtige Band aber immer sicherer und fester zu schmieden.
§. 13.
In der Tat ist es diese Richtung, die transzendentale, in der sich die Religion der Völker instinktiv entwikelt hat. Alle Religion hat das Gemeinsame, das sie vor sich, in der Welt, Nichts, hinter sich, im Transzendentalen, Alles zu suchen hat. Da aber die Masse sich ausserhalb der Farben und Formen dieser Welt nichts vorstellen konte, so individualisirte und antropomorfisirte sie ihr Prinzip, schuf Götter und zog ihnen goldgestikte Pantoffeln und kostbare Samt-Mäntel an, und versah sie mit übertriebenen, menschlichen Eigenschaften. Dort aber, wo es Filosofen gab, haben sie, wenn auch in, der Masse unverständlicher und unzugänglicher, Geheimlehre, die Götter, ihre Kleider und Leiber, zurükgenommen, und haben, wie die Brahmanen, den ganzen Indra-Himmel zerstört, und das an ihre Stelle gesezt, was einzig ihnen als Denker übrig blieb: ein transzendentales Prinzip. Diese Leistung der indischen Denker war im Abendland nicht zu überbieten.
§. 14.
Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen „post hoc“ von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines „alter ego,“ Deines „besseren Ich“, nicht verstehen solltest. Nenne ihn „Gewissen“, „Eingebung“, „Inspirazion“, „Impuls“ „innerer Befehl“, oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. — „Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äussersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen, und Deine Rechte mich halten.“ (Psalm 139, 9-10). — Du bist ihm verantwortlich und musst ihm Rede stehn, wenn er zu Dir spricht. Mag er geartet sein, wie immer; und mag er vom Standpunkt einer hiesigen Moral „gut“ oder „schlecht“ genannt werden. Fürchte nicht: Er ist für die meskinen Unterschiede irdischer Pädagogen, oder die Paragrafen einer „Staats“- oder „Gesellschafts“-Moral unerreichbar. Und wenn auch die „Ordnung der Dinge“ in dieser Welt auf ihn, als lezte causa efficiens, zurückzuführen ist. Du darfst nicht rükwärts schliessend dich auf Hiesiges stützen; Du musst, als Lebender und Wirkender, vorwärts schliessen, und Dich auf ihn stüzen. Er ist für Dich da. Und mit ihm vereint darfst Du diese blöde, dumme Welt herausfordern; darfst diese Larven mit wasserblauen Augen, die Dich hier umgeben, verachten, und jene bebrillten Automaten, die gegen ein sicheres Mittagessen Dir vordoziren: Du rnusst Den heilig halten, und für Jenen sterben, Du musst ein tüchtiges Mitglied der Gesellschaft sein, und ein braver Staatsbürger, der seinen Eid mit dem gehenden und kommenden Erlauchten Haus seines Landes bricht und hält — die darfst Du verlachen und für eine tief unter Dir stehende „genus hominum“ halten, — wenn Du mit Deinem Dämon d'accord bist. —
§. 15.
Die Forderung, die Aussenwelt als einen im Denken gegebenen mit ihm gleichzeitigen, identischen Prozess anzusehen, ist für den Erfahrungsmenschen hart; sie ist aber unerbittlich; sie ist die einzige Möglichkeit, das tausendjährige Problem über die Art der Verbindung von Seele und Leib zu schlichten; ein Problem, das Descartes nocheinmal in seiner ganzen Unerbittlichkeit für den modernen Menschen hinstelte, und das Spinoza wohl formell löste, indem er es durch einen rein begrifflichen Machtspruch aufhob, aber nicht anschaulich machte. Denn mit dem Hauptsaz seiner Lehre: Ausgedehntes und Gedachtes (res extensa und res cogitans) seien nur Attribute ein und derselben Substanz (natura naturans) von der einen oder anderen Seite betrachtet, dekretirt er einen extramundanen Beschauer, der Gott oder Spinoza selbst ist, eine überirdische Intelligenz, von der wir bei aller Anstrengung nicht begreifen können, dass sie Ausgedehntes und Gedachtes in einer Betrachtung vereinige . In dem vorliegenden Versuch ist dagegen auf einen psichischen Akt, auf eine innere, unmittelbare Erfahrung hingewiesen, die Tausende von Menschen erlebt haben, ohne deshalb krank zu sein, auf die Halluzinazion, in der faktisch Gedachtes und Ausgedehntes in einem Prozess vereinigt ist.
§. 16.
Der grosse Fehler — nicht der Materjalisten — sondern der Psicho-Fisiker war, dass sie von der Erscheinungswelt stets rückwärts zu gehen versuchten. Sie glaubten immer von der Materie aus durch Rückwärtsgehen auf die Psiche zu stossen — und es war einerlei, ob sie diesen Schritt in der Aussenwelt vom Objekt zu seiner Perzepzion, oder im Gehirn von einer Ganglienzelle zur Vorstellung machten — obwohl sie sich nach dem stets mislungenen Erfolg sagen mussten, dass der Schritt eigentlich ja nicht zu machen sei. Denn Etwas von Descartes hatten sie ja doch behalten. Sie befanden sich in der misslichen Lage Jener, die auf der Brücke stehen, und in den vor ihnen vorauseilenden Fluss blicken. Sie erleben die Täuschung, dass sie sich mit der Brücke und den Ufern nach rückwärts bewegen. Aber, sobald sie aufschauen, sehen sie, dass Alles am alten Plaz ist. Wir können durch Rükschluss von der Materje nimmermehr auf die Psiche stossen. Viel eher hätten wir Ursache, von der Psiche aus durch Vorwärtsdringen auf die Materje zu stossen, wie Berkeley und Kant versuchten. Denn wie uns die Untersuchung der Energie unserer Sinnes-Organe zeigt, liegt der, ganze Aspekt der Aussenwelt in ihrer (der Sinnes-Organe) Funkzion beschlossen. Nachdem also konstatirt war, dass der süsse Geschmak des Apfels nicht am Apfel sondern in meiner Zunge, und nicht in meiner Zunge sondern in meinem Geschmaksnerven, und nicht in meinem Geschmaksnerven sondern in der von ihm versorgten Rindenpartie des Gehirn's. und nicht in dieser Rindenpartie sondern in meiner Vorstellung ruht, solte man doch das so gewonnene sichere Ergebnis in dem Axiom festhalten, dass der Apfelgeschmak ein von der Vorstellung auf den Apfel übertragenes Etwas sei, statt die Apfelsüsse immer wieder von der Aussenwelt durch Mund und Nerven ins Gehirn wandern zu lassen, wo sie unweigerlich steken bleibt, da Niemand einsehen kann, wie aus einer Parzelle Gehirns eine Vorstellung werden kann; wobei es einerlei ist, ob ich statt Apfelsüsse „Reiz“, oder „Bewegung“ sage. War aber das Ergebnis des Vordringens der Empfindung des Süssen aus der Vorstellung auf den Apfel in der Aussenwelt gesichert — und soweit war schon die Transzendentalfilosofie Kant’s — dann musste, da der Sprung von Psichischem auf Körperliches ebensowenig erfolgen konte, das Körperliche selbst, und damit die Aussenwelt, als ein im Psichischen beschlossenen Kern, als ein mit ihm Gegebenes erkant werden, und Körperlichkeit und Räumlichkeit der Aussenwelt als Illusion. —
Der Gehirn-Anatom also, der auf ein der Leiche entnommenes Gehirn starrt, um hier Residuen von Gedanken zu finden, begeht von seinem Denken aus denselben Fehler, wie ein Fotograf, der aus Betrachtung einer Negativ-Platte Schlüsse auf die Natur — des Lichts ziehen wollte. Beide haben nur die eine Hälfte des Prozesses vor sich — dieser verteilte Silbersalze, jener Gehirnmasse — und als ein Substrat, in dem der gesuchte Prozess garnicht stattfindet. Denn weder findet Denken als Gehirn, noch Lichtwellen als Silbersalze statt. Keiner könnte einen Rükschluss von seiner Materje auf die Art des Induktors machen. Der Gehirn-Anatom beginge aber ausserdem den Fehler, dass er einen Prozess in einem Medium untersuchte, in dem dieser Prozess gar nicht stattfindet. Denn in der Aussenwelt wird nicht gedacht. Ebenso gut könnte er Verbrennungsprozesse unter Wasser untersuchen wollen. Oder Farben im Dunkeln. Er sähe nichts.
Eine harte Nuss für unsere Materjalisten und materjalistischen Fisiologen war stets die Beantwortung der Frage: wie es komme, dass die Gegenstände der Aussenwelt, die durch die Linse unseres Auges auf dem Augenhintergrund umgekehrt erscheinen, von uns aufrecht gesehen werden. Meist wurde die Antwort in der dualistischen Fassung gegeben, die den Unterschied zwischen Geist und Körper noch immer festhält: dass nämlich, da unser Körper doch selbst in der Aussenwelt sich befinde, er gleichfalls unter dem Gesichtspunkt des „Umgekehrtseins“ sich erscheine, womit, da Alles umgekehrt, Alles gleichgerichtet und in harmonischer Ordnung erscheine; sowie: dass das optische Bild eines Gegenstandes mit der betreffenden Empfindung des Gegenstandes erst zu einer Einheit „verschmelzen“ müsse, in der die Kontrolle von „Oben“ und „Unten“ nicht mehr angehe. — Auf den viel näher liegenden Einwurf und Zurükweisung der Frage — denn um die handelt es sich, nicht um eine Beantwortung — dass der Gegenstand, den ich sehe, z. B. ein Baum, doch nicht in mein Gehirn dringt, geschweige in meine Vorstellung, und dass die Vorstellung des Baums etwas vom Baum selbst in der Aussenwelt Grundverschiedenes, und ein in einem ganz anderen Medium stattfindender Vorgang, ist — ein noch immer im Bereich dualistischer Auffassung sich haltender Einwurf — ist meines Wissens Niemand gekommen. Und Helmholtz bemerkt mit Recht, der Streit um das Aufrechtsehen unter den Fisiologen beweise nur, dass selbst wissenschaftliche Männer das rein subjektive Moment unserer Empfindungen nicht zu überschauen im Stande wären, — Nur Lange (Gesch. des Materialismus 3. Aufl. 1876) dringt bei Besprechung des Überweg’schen Einwurfs, der ebenfalls noch immer dualistisch gehalten ist: eine Projekzion unserer Wahrnehmungen aus der Aussenwelt in die Aussenwelt zurük fände nicht statt, — bis zur erkentnisteoretischen Forderung vor: eine Konsequenz der Überweg’schen Anschauung sei: „dass der Raum, den wir wahrnehmen, nur der Raum unseres Bewusstseins sei;“ also bis zu einer Leugnung der Aussenwelt; ohne jedoch diese Anschauung zu der seinigen zu machen. —
Für unsere Auffassung ist die Stellung der Frage nach dem Grund des Aufrechtsehens der Dinge fast unverständlich. Denn nachdem wir die Aussenwelt als einen im Denken selbst und mit ihm stattfindenden Prozess erkant haben, kann es uns einerlei sein, ob ein Ding der Aussenwelt im andern Ding der Aussenwelt sich „unten zu oberst“ oder „rechter Hand linker Hand beides vertauscht“ spiegelt. Und die Frage erscheint uns ebenso tiefsinnig, wie die: wesshalb ein Objekt, das in der Camera obscura des fotografischen Apparats umgekehrt erscheint, ausserhalb des Apparats aufrecht sei; oder: wesshalb ein in das Wasser gehaltener Stock dort gebrochen erscheine; oder: wesshalb die im Spiegelbild linke Hand einer Person in der Aussenwelt dessen rechte sei; u. drgl. —
§. 17.
Leugnung der Aussenwelt! — In der Tat ist dies die selbverständliche und unvermeidliche Konsequenz unserer Anschauung. Wenigstens wenn man die materjalistische Aussenwelt darunter versteht, eine ausserhalb und unabhängig von unserem Denken gegebene räumliche Welt, deren Gegenstände unser Denken beeinflussen sollen. Wir leugnen diese Welt, wie wir die „Gestalten“ des Halluzinanten leugnen. Unsere Welt ist für unser Denken eine Halluzinazion, mit der wir übrigens um so mehr rechnen müssen, als unser gleichzeitig mithalluzinirter Körper mit diesem Denken, unserer gegenwärtigen Betätigung, unzertrennlich verbunden ist. Wir leugnen also nicht die halluzinirte Welt. Sie ist eine unvermeidliche Illusion, deren Erkentnis nur für unser Denken von Bedeutung, die Erscheinungen dieser Welt selbst aber, unter sich, wie in ihrem scheinbaren Verhältnis zu unserem Denken, im Uebrigen intakt lässt. — Wir befinden uns im Hinblik auf die Aussenwelt wie auf einer uns fremden, weltentlegenen Insel, auf die wir, wie Odysseus, schlafend gebracht wurden. Die dortigen Menschen, ihre Zeichen, ihre Sprache, ihre Geberden und Münzen, sind, obwohl wir deutlich erkennen, dass sie nicht die unsrigen sind, doch die einzige Möglichkeit uns zu betätigen, uns zu verständigen, und unser Leben zu fristen; und wir müssen uns ihrer nolens volens bedienen. Sicher sind wir nur, dass diese Insel-Welt — die Aussenwelt — nicht die unsrige ist, und das irgend eine Verbindung mit unserer Heimat — Denken — existirt, oder bestanden hat, sonst wären wir nicht hier. Es hängt nur von der Intensität meiner Erinnerung an das Schiff und die Heimat — Eingebung — ab, ob ich diese Insel-Welt für meine wirkliche halte, mit ihr zufrieden bin, oder ihre Fremdartigkeit erkenne. —
§. 18.
Akzeptire ich diese Schein-Welt als wirkliche Welt im Hinblik auf meinen Körper und meine Betätigung, und nicht nur im Hinblik auf meinen Körper, sondern auch im Hinblik auf mein mit diesem externalisirten Körper gleichzeitig gegebenes Denken, und im Hinblik auf meine in diesem Denken gegebene Teorie und Weltanschauung, so ist es selbverständlich und bei einer radikalen Teorie unvermeidlich, dass ich mich vor einer Menge Unbegreiflichkeiten und Rätsel gestelt sehe und von Anderen gestelt werde. Das schwierigste dieser Rätsel wohl das: wie ich zu der Meinung komme, dass Dinge der Aussenwelt meine Psiche direkt beeinflussen. — Nun führe ich aber jede Diskussion in dieser Sache mit meinem Gegner und Fragesteller auf Grund von Zeichen und Verständigungen dieser Erscheinungswelt; also auf illusionistischem Gebiet; dessen Beweise und Widerlegungen wohl mein Begreifen fördern oder erschüttern, aber nie die Sicherheit meines Denkens berühren oder gefährden können; ebenso wenig, wie ein auf jener supponirten Insel nicht zum Ziel gelangender Verständnisversuch mit den Fremden mich im Hinblik auf die Sicherheit meiner zurükgelassenen Heimat alteriren könte.
Es ist ganz einerlei welchen Spezialfall von scheinbarer Beeinflussung der Psiche durch die Aussenwelt ich mir auswähle, die Schwierigkeit ist bei jedem die gleiche; ich wähle aber als eines der sinnfälligsten Beispiele die Intoxikazions-Erscheinungen bei Alkohol oder Haschisch. Hier könte man angesichts der toxischen Wirkung auf unsere Psiche bedenklich werden, unsere psichischen Erscheinungen als eine Einwirkung des von uns postulirten transzendentalen Prinzips anzusehen, weil hier „äussere“ Ursache und „innere“ Wirkung so dicht beieinander liegen: man giesst vorne zum Mund Wein hinein, und hinten springt das Sinnesdelir aus dem Kopfe. Zunächst darf ich hier nun nicht vergessen, dass die sinliche, sensorische Leistung meines Hirns, eine rein in das empirische Gebiet der Psiche fallende Leistung ist; und dass ein der sinlichen Sfäre angehöriger Stoff, wie Alkohol, oder Haschisch, auch nur diese Sfäre trift. Dass ein Toxikon mein Gehirn trift und es verändert, auflokert, seine Reflexe beschleunigt, das ist eine innerhalb der Erscheinungswelt mir begreifliche Sache. Und wäre die Psiche eine Sache, die wie die Materjalisten wollen, im selben Topfe gekocht wird wie die sinlichen Erscheinungen, dann wäre es ein höchst einfältiger Vorgang: man giesst Haschisch zum Gehirn wie Zimt zum Reisbrei, und das toxische Delir kommt hervor wie der Zimtgeruch aus dem Topf. Aber vor meinem Denken ist der Saz, dass Haschisch Psiche kreïre — und darauf geht doch die materjalistische Meinung hinaus — eine unmögliche Sache. Dass aus einem Haschisch-Molekül ein Fantom, eine psichische Leistung entstehen könne, das ist für mein Denken eine ebenso repulsiver Gedanke, als dass aus einem Gehirnreflex Bewusstsein entstehen solle; Ueber diesen Abgrund bringe ich das Haschisch-Molekül so wenig hinweg, wie die Bewegung der Gehirn-Rindenzelle. Dass, wenn Gehirn in irgend einer Form mit dem Auftreten von Psiche verknüpft ist, dann, wenn sich Haschisch in diesem Gehirn findet, auch Psiche in irgend einer Form mit Haschisch verknüpft sein kann, das kann vor meinem Begreifen bestehen. Aber, dass Gehirn oder Haschisch zu Psiche wird, das kann mein Begreifen nicht fassen. Nehme ich also als leztes Refugium die Möglichkeit als gegeben, dass Gehirn und Psiche ein gleichzeitiger, auf fremde Ursache zurük zuführender, aber identischer Prozess ist, dann schränkt sich meine Untersuchung über die Möglichkeit des Enstehens von Haschisch-Psiche aus Haschisch zu der rein mechanischen Untersuchung ein, wie Haschisch-Moleküle im Erscheinungs-Leben neben Gehirnmolekülen zu liegen kommen können, und wie sich diese gegenseitig berühren und verändern; eine Frage, die mein Denken nichts weiter angeht. —
So wenig also meine idealistische Auffassung von dem rein illusorischen Wert der Erscheinungswelt durch das Experiment alterirt werden könnte, wenn Jemand vor meinen Augen gelbe und blaue Farbe zu Grün mischte, eine Untersuchung atomistischer Art, die es mit dem zufälligen Nebeneinanderliegen von Gelb und Blau in der Erscheinungswelt, der Faserschicht meines Auges etc. aber nicht mit meiner Psiche zu thun hätte, so wenig kann von meinem transzendentalen Standpunkt aus die scheinbare Entstehung von Haschisch-Psiche aus Haschisch sich zu einer Schwierigkeit transzendentaler Art gestalten.
Viel plausibler liegt uns die Sache bei der Frage der Beeinflussung der Psiche durch Musik. Hier, wo — nach heutiger Auffassung — nichts Materielles in unser Gehirn dringt, wird Niemand zu der Meinung kommen: Musik kreïre Psiche; sondern wird ihr nur einen richtenden, ordnenden Einfluss auf bereits vorhandene Psiche zulassen. Denke ich mir also meinen Geist, meine Gemütslage, als einen stets vorwärts drängenden Strom von Erregung, mit dem Körperlichkeit, Aussenwelt, zugleich als Erscheinung gegeben ist, dann ist die Frage nach der Beeinflussung von Psiche durch Musik lediglich die nach der Ko-Existenz von Schallwellen und Gehirnmolukülen, deren Beantwortung der Erscheinungswelt zufält.
Die Schwierigkeit aller dieser Untersuchungen liegt in dem Umstand, dass es mir unmöglich ist über meine Psiche zu reflektiren, ohne sinliches Materjal zu benüzen. Wie die Halluzinazion aus unbekanter, dämonischer Tiefe sich hebt, in’s Psichische sich hebt, hier die Wahrnehmung erzeugt und dann — bildlich gesprochen — durch Ohr, Auge etc. herausfährt, sich in die Aussenwelt projzirt, und diese Genese und Entwiklung immer einerlei Richtung hat, bildlich gesprochen, von hinten nach vorn — so ist es auch mit jeder Untersuchung, die ich, von meiner Psiche ausgehend, mit ihr selbst anstelle. Immer stürzt sie sich in’s Sinliche, nach vorn — nie rükwärts — und meine Antwort fält also immer sinlich, bildlich aus; sie ist immer eine Projekzion in’s Äussere. Wolte ich also die Frage, wie es komme, dass das Haschisch Molekül meine Psiche beeinflusse, wirklich beantworten, wie sie gestelt ist, so wäre dies eine rükwärtige Untersuchung, die ich nicht anstellen kann, die gar nicht in meiner Macht liegt; denn, ansetzend, stürzte sich mein psichischer Impuls in’s Sinliche, in’s Materjelle, in Sprache, in Aussenwelts-Projekzionen; Und da, wo ich wegzukommen suche, komme ich immer fester hin.
§. 19.
Deswegen stelt sich auch unsere vorliegende Teorie in sinlichem Gewände dar. Und so war es bei Kant, der mit seinen Anschauungs- und Denkformen, seinen „reinen“ Verstandesbegriffen und apriorischen Kräften einen transzendenten Areopag sich vorstelte, der das ankommende sinliche Material ungeordneter „Affekzionen“ ordnete und in seine Formen zwänge. So bei Descartes, einem unvergleichlichen Denker, ohne den wir heute nicht so weit wären, als wir sind, der für die „denkenden“ und „ausgedehnten“ Substanzen zwei Töpfe hatte, zwischen denen er sich, mit Recht, jede Kommunikazion verbat. Und so bei Spinoza, der mit geometrischem Materjal hantirte, und seine Flächen legte und schob. — Was wir verlangen, ist nicht Wissen —
denn wissen wir selbst etwas? — nur Glauben an das Schema, Bild, Figur, und Vertrauen in die Ehrlichkeit unserer Absicht.
§. 20.
Die moderne Naturwissenschaft glaubt ohne das Postulat, dass die Dinge der Aussenwelt durch Reize auf uns wirken, und dass wir auf diese Weise Kentnis von ihnen bekommen, nicht, ihre Mission, uns in dieser Welt der Erscheinungen zu orjentiren, ausführen zu können; obwohl man jeden ihrer Vertreter innerhalb weniger Minuten zur Anerkennung des Sazes zwingen kann, dass die gesamte Aussenwelt, so wie wir sie sehen, das Produkt unserer Wahrnehmung ist, und das sogenante „Ding an sich“, welches nach Abzug unserer Sinnesqualitäten übrig bleiben soll, für eine weitere Spekulazion dann gänzlich überflüssig bleibt. Trozdem glaubt er an die Aussenwelt und hält seine Psische für ihre lezte Stazion. — „Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“ — Noch mehr: Der Saz, dass das, was ich ausser mir an Raumgrösse „sehe“, ausschliesslich als eigentümliche Qualität im Zentrum meiner Wahrnehmung ruht, und als Konsequenz hiervon die ganze Aussenwelt mit all ihren Dingen in mein Innres rükt, und Alles vor mir ausgelöscht ist — ist für jeden wissenschaftlichen Menschen ein unweigerliches Postulat der Lehre von den Sinnes-Energieen; trozdem ist kein filososofisches Teorem ausgearbeitet, welches die Lehre der Erscheinungen auf diese psichische Basis stüzte, sondern die Naturwissenschaften haben zur Voraussezung die Realität der Aussenwelt. — Weiter: Dass die Dinge der Aussenwelt in meinem Innern anders erscheinen, als sie „draussen“ sind — da doch der Baum, den ich sehe, nicht in meinen Kopfe kann — soweit gehen unsre Materjalisten mit; wie aber der Baum, den ich als Wahrnehmung in meinem Innern habe, wieder hinaus in die Aussenwelt komt („projzirt“ wird), und draussen nicht als Wahrnehmung sondern als Baum „existirt“, dieses skurrile Verhältnis, zu
dessen Erkentnis man die richtige Disposizion seines Geistes erhaschen muss, berührt sie weiter nicht. Sie glauben, dass der Baum „draussen“ und in ihrem Innern existirt. — „Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“Man wird sich nach diesem nicht wundern, wenn auch wir etwas Glauben erwarten, nur konsequenteren.
§ 21.
Dass ich die Aussenwelt, obwohl ich sie angeblich als Wahrnehmung in mir trage, nochmals als nicht mir zueigen, sondern als ausser mir Gegebenes, von mir unterscheide, ist in der Tat eines der seltsamsten Ereignisse, die dem Denker aufstossen. Nicht nur unterscheide ich die Aussenwelt als etwas nicht mir Gehöriges, sondern auch das Kleid, das ich trage, meinen Kopf, meine Augen und Ohren, meinen Schmerz, meine Leiden, meine Gedärme, meine Handlungen, ja meine verflossenenen Gedanken, unterscheide ich alle von mir. Auf der andern Seite sehe ich, wie Gedanken, eben entstehende, kaum geborene, Stimmungen aus denen sich sicher klare Impulse herauskristallisiren werden, an mich herankommen; die ich also auch von mir unterscheide. Und nur einen ganz kleinen Teil dieser sozusagen vor mir und hinter mir liegenden Dinge und Empfindungen identifizire ich für einen kurzen Moment mit mir: ich sage dann: Ich! und meine dann die jeweilige Aussenwelts-Handlung oder eben eingetroffene Empfindung. ich glaube gern, dass diese Art Lokalisirung: wonach die Aussenwelt so vor mir, wie innerlich an mich herankommende Gedankengebilde hinter mir, liegen, eine Zwangs-Eigenschaft meiner Psiche ist; ebenso, wie meine Empfindung, dass die in der Aussenwelt vollbrachte Handlung zeitlich vergangen, wie der immer assozjativ oder autochton entstehende Gedanke zeitlich herankommend ist, nur eine mir imputativ auferlegte Empfindungs-Form meines Innern ist; mag dem sein, wie ihm wolle; mag meine Psiche in Wahrheit gestaltet sein und funkzionieren, wie sie will: soll ich im Hinblick auf diese räumliche und zeitliche Plassirung meiner Anschauungen und Empfindungen eine Reihe aufstellen, räumlich gedacht die Linje a b c, zeitlich gedacht die Zählstrecke α β γ, so muss ich, da nun einmal sinliche Erscheinungsformen mir zur Erklärung unentbehrlich, wenigstens hier konsequent sein, und die Reihe einhalten. Wie wird sich nun eine solche zunächst räumliche, oder räumlich gedachte, Reihe für den Materjalisten bei Wahrnahmung der Dinge der Aussenwelt gestalten?: Ein in der Aussenwelt wirklich und wahrhaftig existirender Baum: Stazion a; — Wahrnehmung dieses Baums im Innern: Stazion b; -- Verlegung dieses Baumes als in der Aussenwelt existirend: zurük zu Stazion a. — Zeitlich würde sich bei ihm eine solche Reihe bei einem inneren Erlebnis einfacher gestalten: ein eben innerlich aufsteigender, vom Ich unterschiedener, Impuls: Zeitstazion α: — Identifizirung des Ich's mit diesem Impuls, Handlungsbereitschaft: Stazion β: Ausführung der Handlung in der Aussenwelt: Stazion: γ — Wir sehen sofort, wie unkonsequent der Materjalist sich im Hinblick seiner teoretischen Auffassung der Aussenwelt verhält. Seine räumliche Anschauung entspricht einem Hin und wieder Zurück (a b a); seine zeitliche einer geraden Linje (α β γ). Und unsere Teorie von der transzendentalen Entstehung des Denkens und der Aussenwelt will nur die räumliche wie zeitliche Reihe gleichgerichtet ansehen und formiren. Sie postulirt die Entstehung des Innenlebens als kausallos, d. i. transzendental, als unweigerlich Gegebenes — wie auch der naive Erfahrungsmensch dieses Innenleben gegenüber der Aussenwelt räumlich hinter sich verlegt, zeitlich als Anfangsstazion deklarirt — und lässt Denken und Handeln räumlich wie zeitlich in einer Richtung sich vollziehen, um dann, wie geschehen, Ich-Psiche und Aussenwelt in einen halluzinatorischen Wahrnehmungs-Aussenwelt-Prozess zusammenzuziehen. — Was auch in der Erfahrungswelt sich für Schwierigkeiten entgegenstellen werden; die sind sekundärer Natur; sie wird es zu erklären gelten, wenn ich mit mir im Reinen bin. Ich kann aber nicht wie der Materjalist zugleich wissenschaftlicher Mensch sein und die Erscheinungswelt, die meinem Wissen schnurstraks widerspricht, für baare Münze nehmen. Ich kann nicht Pöbel und Brahmane sein.
§. 22.
Mit der Einrichtung meines Denkens bin ich also im Reinen. Und auch hinsichtlich der Frage des Enstehens des illusorischen Produkts der Aussenwelt, des Reiches der Körper, des Gebiets des Ausgedehnten. Für mein Denken bleibt gar keine andere Wahl, als dieses Reich des Ausgedehnten in mich, in mein Denken, zu verlegen, und den illusorischen Akt des Ausser-mir-Seins auf Rechnung der eigentümlichen Fähigkeit meiner Sinne zu sezen: sobald sie sich rühren, sobald sie induzirt werden, Körperliches zu schaffen, Ausgedehntes mir — oder sich — zu illudiren, mir — oder sich — die Tarnkappe der Aussenweltprojekzion als Resultat dieser Sinnesarbeit aufzustülpen. Es bleibt mir gar nichts Anderes übrig; denn sonst bin ich mit meinem Denken verloren. —
Ich brauchte also gar nicht mich mit Fragen abzugeben, wie: woher es komme, dass ich in meinem Erfahrungsleben den Eindruk habe, meine Sinne reagirten auf ein von Aussen Gegebenes. Denn dieses Gegebene, die Aussenwelt, leugne ich ja, spreche ich mir, dem unverbesserlichen Halluzinanten, ab. Und der „Eindruk“ dieses Gegebenen für meine Sinne ist für mich nur ein Hysteron-Proteron, eine fehlerhafte Umstellung, wo das Später-Gegebene — die Aussenwelt — irrtümlich zuerst genant wird. — Trozdem kann ich in die Erfahrungswelt hinabsteigen und mich auf eine Diskussion über dieses illusorische Geschehene einlassen — mit der für mein Denken gegebenen Reserve — und darüber sagen, was ich zu sagen weiss. Gewöhnlich wird die Frage so gestelt: Was bleibt von den Dingen der Aussenwelt übrig, wenn ich Alles abziehe, was auf Rechnung meiner Sinne komt? Denn ist es klar — das geben auch die Materjalisten zu — dass von einem Apfel z. B. der Geschmak, der Geruch, das Gegenständliche, das Taktile, also die Form, der Raum, den er einnimmt, kurz Alles, was ich von ihm erfahrungsgemäss aussagen kann, auf Rechnung meiner Sinne komt, von ihnen geliefert ist, bis selbst auf den Laut „Apfel“, der ganz mein eigen ist, und zu dessen Kreïrung Ohren und nervus acusticus gehören. Was bleibt also vom Apfel , vom Ding der Aussenwelt übrig? — Meist antwortet man: Das „Ding an sich“. Der Apfel an sich. — Was ist aber das „Ding an sich“? — Niemand weiss es. Es ist nur eine Abstrakzion, ein Gedanke; soviel ist es ganz gewiss; denn was habe ich Tatsächlicheres, als mein Denken? und als Gedanke fiele es rettungslos in mein Inneres hinein; und Apfel und „Apfel an sich“, und die gesamte Aussenwelt schlukte ich so ohne Rest in mich hinein. Filosofisch also müsste ich das „Ding an sich“ jeder Zeit anihiliren.
Aber als Erscheinung ist Alles gegeben, ich, der Apfel, sein Geschmak, seine Form, und der Raum, den er einnimt. In der Tat dürfte es gewagt sein, diese Dinge, wie Fichte und Berkeley taten, ganz zu läugnen; d. h. sobald ich mich auf eine Diskussion des illudorischen Gebiets, der illudorischen Ereignisse, überhaupt einlasse. Aber das leztere will ich ja tun. Ich tue es, um mit meinen Freunden diskutiren zu können; um mich, selbst Erscheinung, in dieser Welt der Erscheinungen bewegen zu können. Es ist ein Kompromiss, den ich mit meinem Denken schliesse, und ohne den ich nicht auskomme. Ich frage meinen Nachbar, wieviel Uhr es ist, mit der Reservazion: Nehmen wir einmal an, die Uhr, der Nachbar und ich existirten als Erscheinung wirklich in der Aussenwelt. — Hier ist es in der Tat gefährlich, auf den Standpunkt des Läugnens sich stellen zu wollen. Hier ist es besser, mit den Wölfen zu heulen. Denn hier trift mich z. B. die fatale Frage an: woher es komme, dass z. B. ein Flötenspieler, dessen Spiel nach meinem Standpunkt des Denkens samt dem Spieler das Resultat meiner Sinnes-Projekzion ist, wenn ich fortgehe und ihn nicht mehr höre (ihn nicht mehr mit meinen Sinnen kreïre) noch immer da ist, und von Anderen gehört wird. — Freilich, was gehen mich die Andern an? In dem Moment, da ich da war, war er das Resultat meiner Sinne und ihrer illudorischen Fähigkeit. Wenn er jezt, wo ich fort bin, von Anderen mit Hülfe ihrer Sinne kreïrt wird, was geht das mich an? — So müsste ich sprechen, wenn ich konsequent bin, und so, und so allein, spreche ich vom Standpunkt meines Denkens.
Aber was hindert mich, vom Standpunkt des Kompromisses, und um mich mit meinen Nebenmenschen zu verständigen, zu sagen: Der Flötenspieler mit seiner Erscheinung, seiner Siluette, seiner Flöte, den Silber-Klappen auf seinem Instrument, den Lichtreflexen auf diesen Klappen, seinen Tönen und der schmelzenden Wirkung seines Spiels, ist natürlich nur die Leistung meiner Sinne, meines Gemüts — soweit gehen auch die Materjalisten mit. — Aber der Flötenspieler kann ja nun denselben Gedankengang üben und sagen: Diese Zuhörer mit ihrer Toilette, ihrer pensiven Haltung, ihrem Applaus ist nur das Resultat meiner Sinne: denn was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn ich meine Sinne verschliesse oder dieselben nicht funkzionirten? — Hiebei trift der Flötenspieler mit solcher Kritik auch auf mich, den Filosofen. Und was wird das Resultat eines nun zwischen uns beginnenden Diskurses sein, wobei Jeder den Andern als das Resultat seiner, des Debattirenden, Sinne erklärt? Beide werden den Kompromiss schliessen müssen, dass Jeder für den Andern nur als „Erscheinung“, als Resultat der beiderseitigen Sinnes-Arbeit, Anerkennung finden kann; nur als Produkt ihres beiderseitigen illusorischen Denkens; dass sie also Beide sich, jeder dem Andern, ein Illusion sind. Aber Beide können ebenso gut zu der Annahme weiterschreiten, dass das kreatorische Prinzip der illusionistischen Tätigkeit des Andern — ebenso, wie bei sich — ein metafisisches, ein Transzendentes, der Dämon ist. Und damit ist ja das „Ding an sich“ erklärt und konstruirt. Zwar nur auf dem Gebiete des Illusionismus, der Erfahrung. Aber hier allein tritt mir ja die Frage nach Erklärung des „Ding an sich“ entgegen; die Frage was nach Abzug der Wirkung meiner Sinne in der Aussenwelt übrig bleibt. Von meinem Denken aus kenne ich kein „Ding an sich.“ Denn von hier aus ist die gesamte Aussenwelt Illusion. Aber im Bereich der Illusion mag ich immerhin meine auf dem Standpunkt des Denkens gewonnene Erkentnis verwerten, und nenne das „An sich“ meines Gegenüber, was nach Abzug meiner Sinnestätigkeit an ihm übrig bleibt, — Dämon.
§. 23.
Das Resultat, das ich einem Mitlebenden gegenüber gewonnen habe — den ich auf sein Empfinden und Denken wenn auch nur im Bereich des illusorischen Gebiets prüfen konte — kann ich natürlich auf die gesamte mir gegenüber befindliche, und gegenüber tretende, Natur anwenden. Was mir in der Natur entgegentritt, nach abzug der Wirkung meiner Sinne, ist der Dämon. Eine Schnake umschwärmt mich, profitirt von meinem animalen Duft, oder eine Kröte klozt mich an, ein Tiger funkelt mir entgegen, ein Lama auf einer nie betretenen Insel betrachtet mich Nie-Gesehenen harm- und furchtlos — was sie in mir sehen, ist das Resultat ihrer Sinne, eine Täuschung, ein Spuk, dem sie unterliegen und hinter den sie nie kommen; sie wissen nicht, dass, was ich bin, sie in ihrem Kopfe, besser: in ihrem Denken, haben. Aber etwas, nach Abzug ihrer Sinnesleistung an mir Zurückbleibendes, Nicht-Spukhaftes, steht ihnen doch gegenüber, wenn auch nicht erkenbar — der in mir manifestirte Dämon. Und so geht es mir mit ihnen. Ihre Spukgestalt, die ich mit meinen Sinnen kreïre, und den Wald mit den Bäumen, und die Bäche, und die dröhnenden Felsen, und das Firmament mit seinem Gewimmel, was alles ich mir vormache und bildhaft zurechtlege, — das Alles stekt in mir, und ist mein persönliches Spielzeug, mein Spuk, ist mein Stuss, wie jeder Irrenhäusler seinen Stuss hat, nur, dass ich den meinen mit Hunderttausenden teile und darauf eine Welt- und Staats-Ordnung gründe; — aber etwas stekt doch drin, mir zwar nicht direkt Erkennbares, aber auf Grund meiner Orientirung auf illusionistischem Gebiet zweifellos Vorhandenes; und das ist das, was nach Abzug meiner Sinne dort drüben übrig bleibt, der Geist, das Kreatorische in der Natur, der Dämon. Ich ahne also, ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. — In der Erscheinungswelt trift sich also der Dämon von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem „alter ego“; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt.
Nur der Tod macht dem Spuk ein Ende. Für mich ein Ende. Denn Alles spricht dafür, dass ich, mein Denken, nichts weiss, dass mein Leichnam — ein illusionistisches Produkt — stinkend dort liegt, ein Schauspiel der Andern. Der Dämon zieht sich zurük. Die kreatorische Tätigkeit stelt er ein. Und die Hülse, die Maske, verfault zusehends im illusorischen Genuss — der Andern, Ueberlebenden. Dass kein Rest, kein Denk-Rest, soweit Menschen-Erfahrung reicht, von mir übrig bleibt, muss uns, so eifrig nach „Erhaltung der Kraft“ Spürende, doch aufmerksam machen, dass hier etwas zum Teufel geht, wie man vulgär sagt, — wohin? Etwas, das Denken, wohin? — Und die Maske verfault vor unseren Augen. Sie mischt sich in die Masse der übrigen illusorischen Produkte. Sie geht ohne Rest auf. Für unsere illusorische Anschauung. Wir rechnen sie in Stikstoff und Kohlensäure um. Und die Rechnung stimt. Innerhalb der Erscheinungswelt giebt es kein Manko. Aber das Denken, wo geht das, Verfechter des Prinzips der Erhaltung der Kraft, hin?
Der Materjalist bleibt hier die Antwort schuldig. Der Spiritualist der von seinem Denken ausgeht, als der lezten, ihm greifbaren, zugänglichen Instanz, kann nicht mehr sagen, als jener Anatom, der sterbend den Aortenpuls überwachte: sie schlägt nicht mehr.
III. Der Individualismus.
§. 24.
Bewege ich mich nun in dieser Welt, so kann es nur auf Grund eines Kompromisses mit meinem Denken geschehen. Ich — der erkant habe, dass diese Weit nur ein Halluzinazion ist — sage mir: Da Du es nicht bist, der dich zu dieser Fantasmagorie zwingt, die lezte Ursache hinter Dir liegt, Du nur Mittel zum Zwek bist, so magst Du den Spuk mitmachen, schon weil Dir gar nichts andres übrig bleibt — aber mit der Reserve: dass es ein Spuk ist.
§. 25.
Was ist nun der Zwek Deines Lebens?: Den Spuk dieser Welt aufzulösen. Ihn denkend zu verzehren. Zu wissen, dass Du halluzinirst. Und damit zu Dir zurükzukehren. Du brauchst nicht in den Wald zu flüchten. Du darfst die Welt anpaken. Schon weil Du gar nicht anders kanst. Schon weil Dein Dämon Dich zwingt zu fantasmagoriren. Du darfst es machen wie jener Geistliche, der zur Zeit des christlichen Rauchverbots von seinem Vorgesezten rauchend betroffen wurde, auf die Frage, wie er dieses „Teufelskraut“ zu sich nehmen könne, antwortete: er trage das Seine dazu bei, es — zu vertilgen. Du darfst diese Welt verzehren. Es ist nicht nur unvermeidlich, sondern — rebus sic stantibus — notwendig, dass, nachdem Du diese Welt mit Deinen Sinnen erzeugt hast, Du sie wieder durch Denken zerstörst; so Deinem Quäler hinter Dir Luft machst und Dich vorne beschäftigst. [53]
§. 26.
Du nimst also die Illusion an. Du hälst die Halluzination für wirklich gegeben. Und für Deine Sinne ist sie wirklich. Und Du gebrauchst dann die Merkmale dieser Welt, die Signale und Lichter Deines Geistes, die Siegel und Simbole Deiner Sprache, mit deren Anwendung Du schon mitten in der Illusion drinstekst, mit jener Reserve, die schon oben angedeutet ist, d. h.: Du kanst sie jeden Moment zurüknehmen und den Spuk auflösen. Unter dieser Reserve gesprochen ist dann aber unser Illusionismus Gehirn-Arbeit, wie unsere Sprache Zahn-, Lippen- und Kehlkopf-Arbeit. Alle diese Organe werden zwar halluzinatorisch a tempo mit meinem Denken geboren, sind von ihm unzertrenlich und sind zusammen ein Prozess; aber innerhalb des Illusionismus, und sobald ich ihn annehme, steht es mir nicht frei, den Schein zu zerstören, willkürlich zu ändern; so wenig der Halluzinant seine Gestalten in der Aussenwelt verschieben kann; nimt er die Halluzinazion an, kreïrt er sie, muss er sie nehmen, wie er sie findet. Und so kann ich die scheinbare Kausal-Reihe die innerhalb des Illusionismus waltet, für mich den Getäuschten waltet, nicht aufheben, ohne die Täuschung aufzuheben. Ich will aber die Täuschung gelten lassen.
§. 27.
Dann aber ist Illusionismus meine Gehirn-Arbeit, Abbrökelung meines Gehirns, Gehirn-Verzehrung. Sobald wir nur den Hebel ansezen, und das Gehirn zu arbeiten begint, entsteht Illusion. Und die fundamentalste, grausigste und elementarste Illusion entsteht, wenn das Gehirn — für meine Illusion — sich selbst verzehrt, einschmilzt: in der Gehirn-Erweichung (Paralyse des Gehirns); wo das Organ innerhalb weniger Monate gerade in jenen Teilen, welche — nach unserer empirischen Auffassung — der Siz des (illusionistischen) Denkens sind, in der Rinde, hunderte von Gramm Substanz verliert und dabei den kolossalsten Grössenwahn, ein unter Aufhebung aller Raum- und Zeit-Grössen haschisch-artiges, illusionistisches, Feuerwerk produzirt (unter Zerstörung glänzt). — Zwischen diesem Verpuffen von Gehirn-Material — d. i. Haufen von Illusions-Erzeugung — und unserem soliden Denken ist aber nur ein gradueller Unterschied. Wir müssen Illusionen schaffen, wie der Hobel Spähne entsenden muss, sobald er das Rohmaterial des Holzes ernstlich angreift. Und der Geringere unter uns ist der, der keine oder schlechte Spähne schleisst.
§. 28.
Nagt an Dir ein Gedanke: Denke ihn weg (Stirner); verzehre ihn, indem Du ihn intensiv in die Arbeit nimst, und er ist weg; du bist frei; die Illusion zerstört. Eine andere rükt nach? — Selbverständlich! Aber die erste ist fort. Und mit der zweiten mach es ebenso. Das erwarte Du nicht, dass Du auf dieser Welt zu einem Ziel gelangest! Du musst jagen. Windhundartig treibt Dich die Einrichtung Deines Gehirns — und der Ungenante, der dahinter stellt — von Illusion zu Illusion. Diese aufzulösen ist Deine Aufgabe. Das ist der Sisifus-Felsen, den Du wälzest. Kanst Du das nicht, versinkst Du in Quietismus, so bist Du im günstigsten Fall Wiederkäuer — wie die katolische Teologie seit Hunderten von Jahren — die sich den gleichen Illusions-Fras immer wieder vorlegt. Bist Du aber Kämpfer, bist Zerstörer, und damit auch Baumeister, dann eilst Du von Bau zu Bau, von Konstrukzion zu Konstrukzion; denn, was Du errichtet, Glüklicher, darfst Du wieder zerstören. Und lebst Du in einer Zeit, in der angefressene Monumentalbauten und Chinesische Mauern in Masse vorhanden sind, dann schäze Dich zweimal glüklich, indem Du sie niederwirfst und Plaz machst für Neues. Denn Dein Wesen, Mensch, ist Bewegung, nicht Ruhe. Tief in Dir lebt unauslöschlich der Destrukzionstrieb des Tieres.
§. 29.
Zerstören wir nicht den Gedanken, so zerstört der Gedanke uns. Machen wir nicht den Gedanken zur Tat und
entäussern uns seiner, so handelt er und richtet uns zu Grund: Ein Mann liebt ein Mädchen, sie refüsirt ihn; oder die Verhältnisse refüsiren ihn. Von diesem Moment an hat er es nicht mehr mit dem Mädchen, sondern mit dem Gedanken an das Mädchen zu tun. Die Sache liegt nicht mehr in seinem Willen, sondern hängt in seiner Weiter-Entwiklung von der Organisazion seines Gehirns ab. Und begreiflich erscheint es, dass ein solcher Mann, um sich von dem ihm über den Kopf gewachsenen Gedanken zu befreien, sich eine Kugel durch den Kopf schiesst. Er konte die Illusion nicht mehr zerstören. So zerstört sie ihn. Und er war noch der lezte Handlanger seines eigenen Spuks. Hätte er das Mädchen bekommen, so war er den Gedanken los, und die Illusion kurze Zeit darauf verflogen. Er hatte das Mädchen, und die „Illusion ging zum Teufel“, wie man sagt.
§. 30.
Der Selbstmörder weiss nicht, was nach dem Schuss kommen wird, oder, im Fall des Gelingens, nach Eintritt des Todes. Er will nur den gegenwärtigen Gedanken, den er anders nicht losbringen kann, zerstören; sein Ich davon befreien. Und meist gelingt dies sogar schon durch den Schuss, der nicht tötet. Denn dieser ist schon eine Hinausschleuderung der in ihm nicht anders zu brechenden Widerstände. Er handelt also ganz razionell. Dass er im Fall des Gelingens des Schusses die weitere Funkzion seines Ichs, die Möglichkeit, überhaupt noch Illusionen zu haben, damit zerstört, ist eine Sache, die eigentlich ausserhalb seines Kalküls liegt, ist eine Nebensache, ein Abfallprodukt seiner geistigen Arbeit, die ihn nichts angeht. Man darf daher den Selbstmörder weder so tragisch, noch so transzendental, noch so moralisch komplizirt nehmen, wie wir gewöhnlich tun. Jedenfalls nicht tragischer, als er sich selbst nimt. Er nimmt sich aber rein — wie soll ich sagen? — fisiologisch. Unsere Erwägungen über ihn sind schon wieder vollgepfropft mit Illusionen. Als fisiologischer, unvermeidlicher Akt ist der Selbstmord so berechtigt wie das Niesen, das Spuken. Es muss eben geschehen. Es ist ein fisiologischer Akt.
§. 31.
Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem „Aktus“ die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem „Aktus“, wenigstens in der Richtung, kalt und langweilig erscheint. — Vor dem „Aktus“ die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, war. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. „Omne animal post coitum triste.“ — Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens in den begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, für sich egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück.
„Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reisst der schöne Wahn entzwei.“
Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt — „Als noch das Lämpchen glüht“ — statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, — aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert.
§. 32.
Unser Sistem ist kein Bestehendes, sondern ein Bewegtes; kein Kredo, sondern eine Insinuazion. Keine Lehrsaz, sondern eine Funkzion; keine Weltauschauung, sondern ein Weltprozess; nichts, was sich für Jeden schikt, sondern eine Aufmunterung an Jeden zur Untersuchung an Sich Selbst; keine Aufforderung zur Nachahmung, sondern zur Nachspürung; kein Vorschlag zur Generalisirung, sondern zur Individualisirung; keine Einladung zum Sich-Einschlichten, sondern zum Frontmachen!
§. 33.
Zur Befreiung von Deiner Illusion darfst Du Alles wagen. Denn nicht hier im Bereich Deiner Erscheinungen darfst Du für Konsequenzen fürchten, sondern bei Dir musst Du fürchten. Denn stünde hier auch Alles auf’s Herrlichste für Dich, Du gingest innerlich doch zu Grunde, weil Du dort in Deinem Innern nicht gegen den Stachel löken kannst. Deine Seele must Du retten. Hier gibts nichts für Dich zu retten. Hier gibts für Dich nur Illusionen und ihre Zerstörung. „Staat“, „Gesellschaft“, „Religion“, „Ehe“, „Tugendbund“, „Dalai-Lamismus“, „Moral“, das sind Illusionen, gegen die Du ankämpfen, und die Du zerstören darfst. Wenn Du’s kanst. Wenn Du musst. Wenn Dich Dein Dämon treibt, Deine letzte Instanz, auf die Du hören musst. Der Staat wird Dir zwar stets entgegnen, ohne ihn sei keine Ordnung der Dinge möglich; aber dies ist seinerseits eine Illusion, die er erkent, sobald er nicht mehr ist. Dies sagte der alte Deutsche Bund auch, und gieng zu Grund. So sprach die römische „res publica“ auch, bis sie ihren Caesar fand. So sprach die römisch - katolische Kirche auch, bis sie ihren Zerstörer traf. Was war die Stärke Luthers gegen diesen vermeintlich unzerstörbaren Fels Petri? Sein Dämon, den er „Gott“ nante. Dagegen konte der Papst nicht aufkommen; Stärkeres konnte er nicht bieten. Was war die Stärke Sokrates’, als er die Griechischen Götter in den Staub warf? Sein Gott, den er „Dämon“ nante. Was war die Stärke Savonarola’s, als er den Florentinischen Staat zerstörte? Seine Eingebung, die er „Stimme“ nante. Die musst Du haben, Deinen „geheimen Allierten“, dann bist Du gefeit, und kanst Dein Zerstörungswerk — oder Dein Aufbauen — hier vollbringen.
§. 34.
Dalai-Lama nent sich im Plural; um Dir Plattköpfigen anzuzeigen, dass er mehr, mindestens zweimal so viel, wie Du bist. „Pluralis majestatis“. Er sagt „Wir“. Und Dich nent er im Singular; Dich warnend, ihn, oder vielmehr sie, die Mehrheit, nicht etwa nach rein äusserlichen Merkzeigen: Beine, Kopf, Ohren, Nase, Testikel, für eine Einheit und Dir Gleiches zu halten. Er sagt: Wir sind eine Mehrheit und Du bist Eins. Wir sind im Namen des heiligen Gottes Dir vorgesezt, wir haben direkte Verbindung mit Gott, sind also für Dich Gott. — Er probirt dieses Rechen-Exempel auf Deinen Kopf hin, auf Deine Plattköpfigkeit hin. Gelingt es, d. h. glaubst Du’s, dann ist er das, was Er will, d. h. was Du glaubst. Er ist dann wirklich für Dich Gott. Und ist es tausende von Jahren. Bis Du nicht mehr willst. — Gelingt es nicht (wie in einigen neu - kreïrten kleinen Stäätchen, die sich einen fremden Dalaï-Lama importirten), oder gelingt es nicht mehr; ist Dein Gehirn zu gewölbt, zu resistent, oder hast Du den Schwindel schon in andern Staaten mitgemacht; oder drehst Du gar den Spiess um, nimst ihm, dem Dalaï-Lama, die göttliche Krone vom Kopf, oder gar den Kopf vom Rumpf, dann ist der Dalai-Lamismus für Dich, für ihn, für seine Nachfolger, für seine Umgebung, für das ganze Volk gebrochen. Es zeigt sich dann, dass er nur einen Kopf hat, nicht mehrere, also singulär ist, wie Du auch. Er ist er; er ist nicht „Wir“, noch „sie“ und Du bist Du. — Also bei Dir steht’s, was Er, und wieviel Personen Er, aus sich machen will. Behagt Dir die Illusion seiner Mehrheit, so magst Du sie mit machen. Behagt sie Dir nicht, und wingt Dich Dein Dämon, Deine innere Stimme, Dein Warheitsdrang, oder wie Du es immer nennen willst, die Illusion zu zerbrechen, so rette Du Deine Seele, in diesem Fall, wie in früheren vor der Täuschung. Denn wenn es etwas Wahres gibt, so ist es zweifellos jene Kraft, die Dich immer wieder antreibt, die Nebel dieser Täuschungswelt zu zerreissen, und auf das zu pochen, von dem Du einzig weisst, dass es Dir unmittelbar gegeben ist: Deine Seele.
§. 35.
„Wenn Du aber dem Dalai-Lama den Kopf von der Schulter nimst, dann nimmt sein Nachfolger Dir den Kopf von der Schulter!“ — Selbstredend! Und ich weiss das, wenn ich anders in der Welt der Erscheinungen zu Hause bin. Wenn ich mich für meine Idee opfere, ist es meine Idee und meine Opferung. Ich opfere mich nicht für Andere; noch bin ich ein „Märtirer“, wie es die Nachwelt ansieht, welcher eben diese Art, die Sache anzusehen, Freude macht. Ich bin in der Verfolgung meiner Idee ein ebenso rücksichtsloser Egoïst, wie der Verbrecher in Verfolgung seines Mordanschlags. Und ich finde an der eigenen Zerfleischung ebenso grosse Freude und Befriedigung, wie jener an der Fremder; resp. wir betrachten sie beide als das unvermeidliche Mittel, zum Ziel zu gelangen; da die Idee stärker ist, als dieses blutige Hindernis. Sonst könte ich ja niemals diese Grausamkeit vollbringen. Und wenn ich es in der Verfolgung meiner Idee bis zum Umsturz aller Geseze, und schliesslich bis zum Henkerblok bringe, ist es mein Kopf, der fält, den ich fallen sehen will — wenn ich nicht anders vor den Kopf geschlagen bin, und wusste, was ich tat — und ich bin es, der vorausspeculirend, mich, meinen abgeschlagenen Kopf, das Simbol meiner bis zur Selbst-Zerstüklung des Trägers getriebenen Idee, wie ein graussiges Zeichen durch die Jahrhunderte balansiren sehe, weil ich so, in dieser Voraussicht, die lezte Möglichkeit meiner Selbstbefriedigung erkante. — So konte Savonarola Alexander dem VI., der ihm den Kardinalshut anbot, um ihn den Nörgler, den unbequemen Zerstörer der Papst-Illusion, zum Schweigen zu bringen, antworten: er brauche weder Hüte noch Kappen, er erwarte in seinem Leben nichts Anderes, als jene blutige Gloriole, welche das Haupt des Märtirers umgiebt. — Und er bekam sie. Er wurde von Alexander VI. gehenkt.
§. 36.
Ihr schreit, wenn Einer dieser Verzweifelten, indem sie mit sicherem Blik dem Tod in’s Angesicht schauen, sich noch Einen mit hinüber in's Schattenreich nimt, und sich eine prominente Persönlichkeit aussucht — denn was ist es anderes vor versammeltem Volk Einen niederstossen, als: auf’s Schafott gehen, und den Niederzustossenden mitnehmen? — und verschreibt Ströme von Tinte und badet Euch in sitlicher Druckerschwärze? — Hat Einer von Euch Lohnschreibern jemals den Gedanken erwogen: Dass Einer, der seinen Kopf freiwillig hinlegt und sich aufopfert, wenigstens in diesem lezten Moment das Recht haben muss, seinen Idealismus durch irgend einen Akt, in irgend einer Form, zu manifestiren. Und Idealismus ist doch der „Anarchismus“. Gesteigerter, potenzierter Idealismus. Eine idealistische Tat. gegen die aller Idealismus unserer Dichter und Denker schlechtes Talmi ist — den wer gienge für sein Epos oder für sein filosofisches Sistem, ausser vielleicht Sokrates, aufs Schafott? — gegen den aber aller Strassen-Idealismus des meisten Menschenpaks, — Zeitungsschreiber Inbegriffen — eine abgeleierte Opernmelodie genant werden muss. Also statt in sitlicher Drukerschwärze zu machen, tätet Ihr wahrhaftig besser, gesünder und ehrlicher handeln, Euren Lesern offen zu bekennen: Allerdings, wer seiner Ueberzeugung auch sein Leben zum Opfer bringt, gegen dessen schrankenlosen Idealismus können wir nicht aufkommen. Wir können nicht heute in der Schule lehren, dass Mucius, Skävola, Wilhelm Tell, Harmodios und Aristogeiton, die Mörder des Tirannen Hipparchos, Brutus u. a. Helden waren und unsere Gimnasiasten mit dem sitlichen Rot auf den Wangen ihr „trecenti nos conjuravimus!“ deklamiren lassen, und morgen in die Zeitung schreiben: die Ravachol, Wera Sassulitsch, Caserio u. a. seien gemeine Mordbuben. Aut, aut! Caserio hatte den Zunamen Santo. Mit Recht! Wer sein Leben für seine Idee hingiebt, ist immer ein Heiliger, ein von seiner Idee Besessener, heisse er Hödel, Kullmann, Nobiling, Sand, Charlotte Corday, Huss, Giordano Bruno, oder Arnold von Brescia.
§. 37.
Was sie treibt, muss ein Transzendentales sein. Denn innerhalb der Welt der Erscheinungen sind sie unverständlich. Es handelt sich durchaus nicht um sogenante Lauterkeit oder Unlauterkeit der Motive, sondern um psichischen Zwang. Die Moral ist etwas Hiesiges, der Welt der Erscheinungen Angehöriges. Der Dämon etwas Jenseitiges und rein Dinamisches. Obwohl die Welt der Erscheinungen und sonach auch die Moral, in lezter Linie Ausfluss des Dämonischen, der lezten Causa ist, so wäre doch ein Versuch, moralische Prinzipien, als eine Ordnung der Erscheinungswelt, auf das Urprinzip, den Dämon anzuwenden eine rükläufige Bewegung, die, wie wir gezeigt haben, ein Unding ist; da die Richtung von Innen nach Aussen, von der Causa zur Erscheinung, von der zentralen Erregung zum Wahrnehmungsbild, wie bei der Halluzinazion, nicht umgekehrt geht. Die Anwendung von Moral auf reine Triebmenschen ist daher ein Unding und kann nur von Plattköpfigen versucht werden, die von der elementaren Wirkung des Dämonischen keine Vorstellung haben. Ein Luther, ein Savonarola, ein Sokrates ist ohne psichischen, elementaren Zwang undenkbar; weil im Vergleich zu dem von ihnen Geforderten die Summe der Widerstände in der Welt der Erscheinungen zu gross war, als dass sie vernünftigerweise, sie als Erscheinungsmenschen genommen, die Forderung wagen konten. Ohne seine Inspirazion ist Mahomed ohnmächtig, Luther ohne seinen „Gott“ ein Augustiner-Mönch, der sich unterwirft, Sokrates ohne seinen Dämon ein Sofist und Denkschonglör, wie Tausend Andere; jeder Künstler, jeder auf „Eingebung“ hin Schaffende, ohne seinen Einfall ein gewöhnlicher Mensch, wie die Andern auch; denn sein Horchen und Warten auf die Stimme, den Einfall, die Erleuchtung, externalisirt ihn von der Erscheinungswelt und macht ihn zu einem weltfremden Geschöpf. — Da wir nun bei einem Sokrates, einem Savonarola, den Erfolg, die Tat, die die Welt um ein Stük weiterrükte, im Bereich der Erscheinungen unter allen Umständen anzuerkennen geneigt sind, so darf die filosofische Beurteilung bei psichisch gleichgearteten, wie bei Sand, Caserio, nicht anders ausfallen. Denn der Filosof darf nicht auf die tiefe Stufe des ad-hoc-Erklärers, des Zeitungsschreibers, oder Politikers, hinabsinken. Er muss über die Jahrhunderte hinweg zu schauen wissen und die Welt aus einem Punkt zu erklären versuchen.
§. 38.
Und sonach ist die Welt das Resultat des Dämons der Einzelnen. Und da wir die Menschheit nach ihren starken Exemplaren beurteilen müssen, nicht nach ihren schwachen, so müssen wir im Dämon das Urprinzip des Handelns bei allen Menschen suchen, mag es bei den Meisten bis zur Unkentlichkeit abgeschwächt erscheinen. Und sein Handeln ist seinem aus unbekanten Welten ihn treibenden Dämon gemäss. Wer nur im Bereich der Erscheinungen stekt und keine Spur einer inneren Stimme kent, bleibt bedeutungslos wie der Grashalm auf einsamer Felsspize, der auf die Explosion im Berg selbst wartet, die ihn mit in die Tiefe führt. — Und nur dann darfst Du am Schluss Deines Lebens Deine Mission erfült sehen, wenn Du Dir sagen kanst, Du hast Deinen Dämon in der Welt zum Ausdruk gebracht. Das ist Dein kategorischer Imperativ. Handle, wie Dir Dein Dämon vorschreibt. Schrekst Du vor den Konsequenzen in der Welt der Erscheinungen zurük, dann ist sie stärker wie Du. Sezt Du Dich durch, dann bist Du Obsiegender. Du gehst vielleicht zu Grund. Aber zu Grunde zu gehn in der Welt der Erscheinungen, ist ja das Loos von uns Allen.
- Oskar Panizza
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